Leo, der 4-jährige Mops, hat schon acht Besitzerwechsel hinter sich. Der charakterstarke Hund, manchmal ein Macho, wie Janina Sutter sagt, hätte eine starke  Hand gebraucht, «diese Erziehungsarbeit wollte niemand leisten». Als die ursprüngliche Besitzerfamilie ihren Hund auf einem Gratisinserate-Portal zum Verkauf ausgeschrieben wieder fand, kaufte sie ihn und brachte ihn in den Tierlignadenhof. «Sie wollte, dass er ein stabiles Plätzchen findet, wo er sich wohl fühlt.»

Eine ganz andere Lebensgeschichte haben die Meerschweinchen und Zwerghasen, die seit letzten Dezember im Tierlignadenhof leben. «Eine Frau rief an, ob wir ein paar Meerschweinchen aufnehmen können», erinnert sich Janina Sutter. Als Sutters die Tiere holen wollten, trafen sie auf einen Stall mit unzähligen Meerschweinchen und Zwerghasen. «Eigentlich hatten wir Platz für 10 bis 15 Tiere. Doch wir brachten es nicht übers Herz, so viele zurück zu lassen und bauten dann einen zweiten Käfig.»

Die vier Shetlandponys Bianca, Daphi, Nita und Jimmy. © Janina und Stefanie Sutter

Ein Gnadenhof, moderner gesagt ein Lebenshof, nimmt Tiere in einer Notsituation auf. Das Angebot an Lebenshöfen wächst, «sie spriessen geradezu aus dem Boden. Wer einen Bauernhof umstrukturiert, entscheidet sich heute oft für einen Lebenshof», sagt Janina Sutter. Geschützt ist die Bezeichnung nicht, «wer fünf Hunde aufnimmt, kann sich schon Gnadenhof nennen – und Spenden beziehen». Je nach Anzahl Tiere gilt es dann, kantonale Vorschriften zu erfüllen. So müssen etwa Kurse besucht oder Tierpfleger eingestellt werden. Die Plattformen «Pro Tier» und «Gnadenhöfe Schweiz» bieten einen – allerdings nicht vollständigen – Überblick über die Höfe.

Mit allen Tieren per Du

Der Tierlignadenhof besteht seit über 25 Jahren. Janina Sutter und ihre Schwester Stefanie haben den Hof vor vier Jahren übernommen, nach dem Tod der Gründerin Monica Spoerlé. Die beiden Schwestern helfen auf dem Hof mit, seit sie acht waren. Inzwischen sind sie richtiggehend mit dem Hof verwachsen, erzählt Janina Sutter. Beide haben auch ein Leben ausserhalb. Stefanie Sutter, die im Hof wohnt, arbeitet auch auswärts und Janina Sutter ist gerade Mutter geworden. «Wir sind jeden Tag auf dem Hof», sagt sie, «und wir haben zu all unseren Tieren eine Beziehung, wir kennen alle beim Namen und wissen, wie es ihnen geht». Ein Lieblingstier habe sie keines, sie sei mit allen Tieren verbunden. «Der Umgang mit Tieren ist für uns sehr wertvoll und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Unsere Arbeit gibt uns viel und fordert viel.»

Schwein Luna lebt seit Anfang Jahr auf dem Hof. © Janina und Stefanie Sutter

Die Stiftung Tierlignadenhof hat zum Zweck, Tieren in Notsituationen zu helfen – dann, wenn es keinen Ausweg mehr gibt. Pferde etwa leben oft auf dem Gnadenhof, weil sie altershalber nicht mehr geritten werden können. Sutters haben viele Anfragen, alle können sie nicht berücksichtigen. «Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die Tiere bis zum Lebensende bei uns bleiben», so Janina Sutter. Ab und zu könne sie ein Tier weiter vermitteln, jedoch nie in dem Ausmass, wie das Tierheime tun. Einen Platz zu finden, der dem Tier gerecht werde, erfordere viel Zeit. «Uns ist es ein Anliegen, dass alle Tiere, die wir fremdplatzieren, wieder auf den Hof zurückkehren können, falls die Beziehung Mensch-Tier nicht funktioniert.» Das gilt lebenslang. Kürzlich hat jemand ein Büsi nach zehn Jahren auf den Hof zurückgebracht.

Unterschiedliche Hofbewohner

Im Moment leben 180 Tiere auf dem Kaister Gnadenhof. «Damit haben wir die Grenzen unserer Kapazität fast erreicht», so Janina Sutter. «Jedenfalls im Bereich der grossen Tiere.» Auf dem Hof leben ganz unterschiedliche Pensionäre. Grosse wie Geissen, Kühe, Schafe, Pferde, Ponys und Wildtiere, kleine wie Katzen, Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen und Fische. 39 Büsis teilen sich zur Zeit das Hofleben. Weil sie sich im ganzen Haus, im 80 Quadratmeter grossen Aussengehege oder rund um den Hof frei bewegen können, gibt es keine Revierkämpfe. «Wichtig ist, dass genügend Futter für alle da ist.»

Insgesamt 16 Hühner gehören zum Betrieb. © Janina und Stefanie Sutter

Auch Shila und Gino wohnen in der Katzen-WG. Da ihr früherer Besitzer seinen Hof mit dem Altersheim tauschen musste, blieben die Tiere allein zurück. Die inzwischen verwilderten Katzen fanden dann dank einer aufmerksamen Nachbarin ein Zuhause im Gnadenhof. «Ursprünglich waren es drei Katzen, eine davon liess sich berühren, die konnten wir auswärts platzieren. Halbverwilderte Katzen lassen sich jedoch kaum weiter vermitteln.»

Die beiden Shettlandponys Jimmy und Bianca, beide über 25 Jahre alt, sind nur dank dem Engagement der früheren Besitzerin nicht beim Metzger gelandet. Die schon ältere Frau hatte ihr Haus verkauft mit der Auflage, den beiden Ponys einen friedlichen Lebensabend zu ermöglichen. Der neue Hausbesitzer hielt sein Wort nicht und wollte die Tiere zum Schlachten bringen. «Die ehemalige Pony-Besitzerin hat davon erfahren und Jimmy und Bianca dann zu uns gebracht», erzählt Janina Sutter. Doch nicht alle Tiere auf dem Hof waren ungewollt oder überdrüssig. Einige sind auch da, weil ihre Besitzer und Besitzerinnen einen Schicksalsschlag erlitten haben, etwa Krankheit, Trennung, Arbeitslosigkeit, Todesfall oder weil sie mit dem Charakter ihres Tieres überfordert waren. Jedes Tier hat seine eigene Vergangenheit.

Auch 14 Kaninchen haben Zuflucht gefunden. © Janina und Stefanie Sutter

Finanzierung omnipräsent

Der Tierlihof lebt von Spendegeldern. Rund 20’ bis 30’000 Franken monatlich gibt die Stiftung aus für Löhne, Futter, Tierarzt etc. «Wir haben fixe Kosten aber keine Einnahmen. Das Thema Finanzierung ist deshalb immer präsent. Wir müssen gut wirtschaften und uns überlegen, welche Investitionen möglich sind und welche nicht.» Mit 350 bis 400 Stellenprozent muss der Hof auskommen. «In Wahrheit sind unsere Pensen jedoch viel grösser. Meine Schwester und ich investieren wesentlich mehr Zeit als wir berechnen können.» Stefanie Sutter ist Präsidentin der Stiftung Tierlignadenhof und Janina ist zuständig für Stiftung und Leitung. «Wir haben jedoch tolle Mitarbeitende und freiwillige Helfer», freut sie sich. Die Mitarbeitenden im Hof sind alle teilzeitlich tätig.

Die Hunde geniessen ein Bad im Hofbrunnen. © Janina und Stefanie Sutter

Die Nachfrage nach Hofplätzen ist gross, «grösser als noch vor ein paar Jahren». Trotz des steigenden Angebots an Lebenshöfen. Vielleich auch deshalb, weil es für immer mehr Menschen bequemer ist, ein Tier abzugeben als mit seinen Verhaltensänderungen zu leben. Eine alte Katze etwa miaut nachts laut und findet ihr Klo nicht immer. «Wir Menschen möchten in Würde altern können, das möchten Tiere auch.» Auf dem Tierlignadenhof haben denn auch viele hilfsbedürftige Tiere Zuflucht gefunden. «Es ist uns ein Anliegen, Tieren in Not und ihren Besitzern beizustehen.» Wer den Tierlignadenhof besuchen möchte, kann das tun: Dreimal im Monat machen Sutters eine Hofführung, da stehen Türen und Tore offen.

www.tierlignadenhof.ch