Ein Schauder läuft Marco Gerber über Rücken, als er seinen Fuss in die Rotache setzt. Eisig kalt ist der Bach an diesem Novembernachmittag. Hinzu kommt eine fiese Bise, die Gerbers Finger klamm macht. Der studierte Biochemiker und heutige Finanzchef beim Verband «Pro Velo» ist einer von knapp 40 freiwilligen Otterspottern, die in den Flüssen und Bächen in den Kantonen Bern und Solothurn nach dem Fischotter suchen. Oder nach dessen Spuren. Denn, so Gerber: «Die Chance, einen Fischotter zu sehen, ist fast gleich null; das Tier ist nachtaktiv und sehr scheu.»

Jasminduft und Fischgräten

Knöcheltief steht Gerber im Bach bei Kiesen (BE), dem Sektor, der ihm für die heutige Ottersuche zugewiesen wurde. Ein unberührtes Bachidyll ist es nicht gerade, Zugschienen und Autobahn führen über die Rotache. Der Verkehrslärm rauscht permanent und doch hat Marco Gerber grosse Hoffnung, hier Spuren vom Fischotter zu finden. Vor zwei Jahren hat er nämlich genau hier den Kot eines Fischotters gefunden. «Ich war kaum im Wasser, schon wurde ich fündig», erinnert er sich. «Ich wusste sofort, das ist der Lottosechser!» Fischotter-Losung ist nicht allzu schwer zu identifizieren – wenn man weiss, worauf man achten muss. Die schwimmbegabten Marder ernähren sich nämlich fast ausschliesslich von Fischen. Das sieht und riecht man auch in ihren Hinterlassenschaften. «Bei meinem Fund konnte man deutlich Gräten erkennen», erzählt Gerber. Neben dem Fischgeruch habe Fischotter-Kot einen leichten Duft nach Jasmin.

Otterspotter Marco Gerber
Otterspotter Marco Gerber auf Spurensuche: Leben in der Rotache Fischotter? © Matthias Gräub

Glück und Pech

Tief gebückt stapft der Otterspotter unter der breiten Autobahnbrücke hindurch, immer das Ufer im Blick. Dort, wo Steine aus dem Wasser ragen, sei die Chance besonders gross, Losung zu finden. «Er legt sein Häufchen am liebsten an eine exponierte Stelle, damit seine Markierung weitherum sichtbar ist», so Gerber. Zum einen wolle das Ottermännchen damit sein Territorium gegenüber Artgenossen abstecken und Rivalen vertreiben. Zum anderen möchte er so Weibchen anlocken. Kein einfaches Unterfangen, denn entlang der Aare in den Kantonen Bern und Solothurn leben gerade einmal eine gute Handvoll Artgenossen. Und so kommt Gerber nach einer knappen Viertelstunde auf der anderen Brückenseite an, ohne etwas gefunden zu haben. Das sei keine Überraschung. Er wisse, dass er beim letzten Mal viel Glück hatte. Er war einer von ganz wenigen Otterspottern, die bei der Suche im Winter 2020 erfolgreich waren.

Brücken bewahren Spuren

Gerber hat aber noch mehr Chancen. Er läuft an diesem Tag ein sogenanntes Transekt ab, eine 600 Meter lange Strecke dem Bachbett entlang. Dabei, so der Auftrag, konzentriert er sich weitgehend auf eine Uferseite, achtet dort aber ganz genau auf jeden Stein, jede mögliche Spur im Uferschlamm. «Fussabdrücke sind allerdings schwierig. Die sind schnell mit anderen Tieren zu verwechseln.» Der Fischotter hat fünf krallenbewehrte Zehen an jedem Fuss. Sind diese Krallen gut zu erkennen, klappt’s mit der Bestimmung. Wenn nicht, könnte es genauso gut ein anderer Marder oder gar ein Fuchs sein. Was bei jedem Fund gilt: Das Auge allein reicht nicht als Beweis. Mögliche Otter-Fussabdrücke muss Gerber fotografieren – mit einem Massstab daneben als Referenz. Otterlosung muss er einpacken und identifizieren lassen. Und sogar eine Lebend-Sichtung würde nur als Nachweis gelten, wenn Gerber schnell genug ein Foto knipsen könnte. Der Konjunktiv soll bald zur Realität werden, zumindest was die Häufchensuche anbelangt. Aber erst unter der nächsten Brücke. Die ganze Strecke dazwischen ist fast hoffnungsloses Terrain. Nicht, weil der Otter dort nie seine Präsenz markieren würde, sondern weil Losungen oder Fussabdrücke unter Brücken viel länger Bestand haben. Inzwischen versinkt Marco Gerber knietief in der Rotache. Seinem Gesichtsausdruck ist anzusehen, dass es allmählich kühl wird. Es gibt aber gute Gründe, die Spurensuche in der kalten Jahreszeit durchzuführen. Der Wasserspiegel ist tiefer als im Sommer, die Uferböschung kahl und deshalb viel einfacher zu durchkämmen.

Fischotter
Die schwimmbegabten Marder ernähren sich fast ausschliesslich von Fischen. © Shutterstock

Mit trockenen Pfoten

Die nächste Brücke ist weniger stark befahren. Gerber nimmt ein Formular zur Hand und versucht abzuschätzen, wie hoch, wie lang und wie breit die Brücke ist. Solche Bauten sind nämlich essenziell für den Fischotter – doch sie können auch eine Todesfalle für das Tier sein. Fischotter brauchen Bankette, Orte, an denen sie mit trockenen Pfoten unter einer Brücke durchgehen können. Das klingt merkwürdig, schliesslich sind die Tiere hervorragende Schwimmer. Aber noch lieber als zu schwimmen, gehen sie dem Ufer entlang und halten von dort aus Ausschau nach Beute. Und wenn ein Bach kanalisiert unter einer Brücke durchfliesst, weicht der Otter lieber aus, steigt die Böschung hoch und überquert die Strasse, bevor er zurück ans Ufer klettert. Dass der Strassenverkehr eine der grössten Gefahren für den Fischotter ist, zeigen Zahlen aus dem Ausland. Aber auch in der Schweiz sind in den letzten Jahren mindestens zwei Tiere unters Auto gekommen. Das klingt nach wenig, aber bei einem Bestand von gerade einmal einem guten Dutzend fällt dies durchaus ins Gewicht.

Von Brücken und Brücken

Gerber notiert auf seinem Formular: Höhe: vier Meter. Länge: vielleicht sechs. Tiefe: fünf Meter. Er schaut in die Luft und rechnet im Kopf die Formel durch, die er braucht, um den sogenannten Brückenindex herauszufinden. «Etwas unter fünf. Das ist gut.» Nicht jede Brücke ist gleich gut für den Fischotter geeignet. Neben dem Uferbereich geht es auch um die Dimensionen des Bauwerks: «Eine Brücke hoch über der Aare in der Stadt Bern nimmt der Otter gar nicht erst als solche wahr», erklärt Gerber. Tiefe, aber breite Brücken wirken hingegen wie Höhlen für das Tier. Was toll ist für den Otter – solange er auf einem Uferbankett durchhuschen kann. Der Otterspotter schätzt die Brücke auf ihre Otterfreundlichkeit ein, wägt ab, ob das Risiko besteht, dass das Tier auf die Strasse ausweicht und schiesst ein paar Fotos. Beim diesjährigen Projekt sind die Freiwilligen angehalten, jede Brücke, der sie begegnen, so zu kategorisieren. Mit dem Ziel, dafür zu sorgen, dass irgendwann jede Brücke fischottertauglich ist. «Zumindest im Kanton Bern», erzählt Marco Gerber, «muss jede Brücke, wenn sie neu gebaut oder saniert wird, auf ihre Kleintier-Durchlässigkeit überprüft werden.»

Otterspotter Marco Gerber
Hinterlassenschaft eines Fischotters? Erst der Labortest schafft Gewissheit. © Matthias Gräub

Doch noch ein Fund?

Gerber ist bei der letzten Brücke seiner heutigen Strecke angelangt. Am linken Ufer – flussaufwärts gesehen – stapeln sich schwere Steinblöcke meterhoch unter dem Brückendach. Der Hobbyforscher wird vom Wassertreter zum Bergsteiger und klettert hoch. Auf halber Höhe wird er fündig. Auf einem Stein liegt Tierkot. Gerber inspiziert die Losung, fotografiert sie und packt sie vorsichtig in ein Plastiksäckchen. «Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass es vom Fischotter kommt», sagt Marco Gerber ein paar Minuten später. «Es könnte so etwas wie Fischgräten drin haben. Und als ich daran gerochen habe, kam es mir etwas fischig vor.» Dazu kommt, dass die Losung ottertypisch auf einem Stein abgelegt wurde – ein wahrer Präsentierteller für Artgenossen. Er sei zuversichtlich, dass er den ersehnten Fischotter-Nachweis gefunden habe. Das sollte sich ein paar Tage später als etwas zu optimistisch herausstellen. Als er die Kotprobe der Projektleiterin und Otterexpertin Irene Weinberger vorbeibrachte, musste sie ihn enttäuschen. Aber für Gerber ist noch nicht aller Tage Abend: «Ich habe ja noch ein zweites Transekt», meint er. «Vielleicht habe ich dort mehr Glück.»


«Es liegt noch viel Arbeit vor uns.»

Irene Weinberger, Geschäftsführerin der Stiftung Pro Lutra, ist zuversichtlich, dass die Fischotter-Population in der Schweiz zunimmt: «Er wird sich etablieren.»

Belvedere: Wie geht es dem Fischotter in der Schweiz?

Irene Weinberger: Ihm geht es eigentlich sehr gut. Wir haben in der Ostschweiz Tiere, die einwandern. In Bern haben wir eine Population, die mehr oder weniger stagniert. Insgesamt ist der Trend leicht positiv. Wir haben zwar wenige Tiere, aber ich bin optimistisch, dass sich der Fischotter etablieren kann. Denn rund um die Schweiz werden die Populationen stark und breiten sich aus. Davon profitieren wir.

Ist denn der Fischotter wirklich ein Schädling?

Der Fischotter kann gerade in Fischzuchten grossen Schaden anrichten. Das ist ein Buffet, das er gerne nutzt. In Gewässern ist das weniger offensichtlich. Klar, er frisst Fische. Aber ein gesundes Gewässersystem verträgt einen Fischotter locker.

Hat der Fischotter heute alles, was er braucht, um zurückzukehren?

Wir haben nach wie vor viele eingedolte Bäche, den Fischen in der Schweiz geht es immer noch schlecht. Von dem her sieht es nicht nur gut aus. Wir haben noch viel Arbeit.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit TierWelt.
Text und Interview: Matthias Gräub