Was für ein majestätischer Anblick! Wer schon einmal einem ausgewachsenen Braunbären Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, wir dieses Erlebnis wohl nie mehr vergessen. Seine Erscheinung ist dermassen imposant, sein Körperbau so kräftig und stämmig, dass er noch grösser wirkt als er eh schon ist. In der Tat misst die Kopfrumpflänge eindrückliche 140 bis 200 Zentimeter, und ein Männchen kann bis zu 280 Kilogramm auf die Waage bringen. Ein wahrer Pfundskerl.

Kein Wunder, flösste der Bär dem Menschen seit jeher Respekt und Angst ein. Zahlreiche Mythen und Sagen umgeben ihn. Allerdings wurde er gleichermassen verehrt – die Helvetier nannten ihn Artio, andere keltische Völker verehrten Artaius, Andarta, oder Matunus als Bärengottheiten. In ihren Erzählungen war der Bär der König der Tiere und sogar Herr über die Zeit. Er war kein gewöhnliches Tier, sondern eine Art «Waldmensch», unter dessen zotteligem Fell sich eine Menschen- oder gar Götterseele verbarg. Tatsächlich erscheint die Körpersprache des Bären zuweilen ein bisschen menschenähnlich. Überall, wo der Bär lebte,
wurde er als Krafttier verehrt. Zudem galt er als ein Symbol von Edelmut, Frieden, Auferstehung, Macht, Souveränität und Ruhe. Und natürlich ist der Bär in den Märchen nicht wegzudenken – vom «Klugen Schneiderlein», wo er als Tanzbär nach dessen Fiedel tanzen muss, über den als Bären verzauberten Prinzen in «Schneeweisschen und Rosenrot» bis hin zu Baloo, dem liebenswürdig-tolpatschigen Bären im «Dschungelbuch».

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Braunbären besiedelten bis um das Jahr 1500 noch alle Landesteile der Schweiz. Zunehmend wurde ihnen aber ihr Lebensraum durch das massive Roden grosser Gebiete zur Gewinnung zusätzlicher Landwirtschaftsflächen zerstört, und auch die zunehmende Jagd machte Braunbären das Leben im Mittelland schwer. Wachsende Bevölkerung, dichtere Besiedlung und schliesslich die Industrialisierung trugen das Übrige dazu bei, dass sich die Bären in die gebirgigeren Gebiete zurückzogen – ab 1800 lebten sie nur noch in den inneren Alpentälern und im Jura. Auf dem gesamten Kontinent hat man die Braunbären so lange gejagt, bis sie in vielen Ländern ausgestorben waren. Übrigens erfolgte die Jagd nicht nur aus Furcht – Bären waren begehrte Trophäen, das Fell und Fleisch äusserst beliebt. Das Aufkommen moderner Gewehre liess hier die Zahl der Bärenabschüsse nochmals hochschnellen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Braunbär in der Schweiz bloss noch im südöstlichen Teil – Unterengadin, Val Müstair und Val dal Spöl – zugegen. Die Schweiz hat schliesslich den letzten Bären 1904 getötet.

Von 1999 bis 2002 wurde im italienischen Trentino, rund 40 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt, ein Projekt zur Wiederansiedlung des Bären lanciert. Zehn Tiere aus Slowenien wurden ausgewildert, um die heimische Population, die damals nur noch aus drei Bären bestand, zu verstärken. Das Projekt war von Erfolg gekrönt, und mehr als 100 Jahre nach seiner Ausrottung tauchte im Sommer 2005 wieder ein Braunbär in der Schweiz auf – der offenbar aus dem Trentino «einwanderte». Seither ziehen wieder regelmässig Bären durch die Schweiz. Das Verbreitungsgebiet beschränkt sich bisher auf den Kanton Graubünden, 2016 wurde zum ersten Mal ein Bär in der Innerschweiz gesichtet. 2017 hielt sich wohl dasselbe Individuum im Kanton Bern auf und 2018 konnte vermutlich eben dieses Bärenmännchen in Engelberg beobachtet werden. Obwohl immer wieder Bären in die Schweiz zu Besuch kommen, gilt er hierzulande nach wie vor als ausgestorben – mangels Reproduktion. Immerhin: Heute leben zumindest im Trentino wieder 49 bis 66 Bären.

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Trotz der heute regulierten Jagd auf Braunbären stellt anhaltende Wilderei selbst in Ländern mit stabilem Braunbärenbestand ein Problem dar, so beispielsweise in Russland. Dies vermeldet der WWF. Zudem seien die menschlichen Aktivitäten in Gebieten mit Bären oft nicht darauf ausgerichtet, mit dem Tier zurechtzukommen. Aufgrund von fehlendem Schutzvorrichtungen und nicht vorhandenem Herdenschutz lernen manche Bären, dass sie in der Nähe von Menschen Futter finden, und verlieren ihre natürliche Angst. Das wird natürlich zum Problem – und die Konsequenzen für die Tiere sind dann fatal. Dabei sind Bären grundsätzlich scheu und meiden den Menschen, was ihnen dank extrem gutem Geruchs- und Gehörsinn auch meist gelingt.

Obstkulturen und Bienenstände könnten mittels Elektrozäunen wirkungsvoll vor
Bärenbesuch geschützt werden. Denn seine Liebe zum Honig ist schliesslich legendär. Drei Viertel des Nahrungsbedarfs wird mit pflanzlicher Kost gedeckt, aber auch Aas ist durchaus willkommen. Der sprichwörtliche Bärenhunger
setzt dann im Spätsommer ein, denn es gilt, möglichst viele Fettreserven anzulegen. Der Speiseplan besteht überwiegend aus Beeren, Eicheln oder Kastanien. Natürlich in Hülle und Fülle, ansonsten käme das riesige Tier nie auf
die notwenigen Kilos. Da Bären mittelmässig begabte Jäger sind (ausser beim Fischen, denn sie schwimmen erstaunlich gut), dienen Insekten wie Ameisen, Wespen und Bienen als Proteinquelle.

Apropos schwimmen: Braunbären sind generell wenig wasserscheu. Einige Bären sind sogar darauf spezialisiert im Wasser nach Beute, insbesondere Fisch zu jagen. Fast alle Bären baden gerne und ausgiebig und zeigen sich dabei oftmals verspielt. Sie drehen Pirouetten und wenden sich im Wasser, tauchen unter, schütteln sich das Wasser aus dem Fell und toben einfach im nassen Element herum. Vermutlich geniessen sie auch die Abkühlung, die stets mit einem solchen Bad einhergeht. Geradezu legendär ist die Liebe des Nordamerikanischen Braunbären zum Lachs – er schätzt diese protein- wie fetthaltige Beute ausserordentlich, wenn er sich zu seinen Laichgründen am Oberlauf von Flüssen aufmacht. Allerdings ist das Festmahl so rasch wieder vorbei, wie sie begonnen hat, denn die Fische verschwinden nach wenigen Wochen wieder gen Meer. Berühmt ist die Lachsjagd der Grizzlybären: Im Sommer schwimmen Lachse den Fluss stromaufwärts, um zu ihren Laichgebieten zu gelangen. Die Grizzlys warten im Wasser auf die Fische und jagen sie mit ihren Pranken. Manchmal springen die Lachse direkt in das Maul ihrer Jäger.

Um die nahrungsarme Zeit im Winter zu überstehen, verkriechen sich die Einzelgänger vor allem in nördlichen Gegenden monatelang in eine Höhle oder einen Bau, um Winterruhe zu halten. Denn: Genaugenommen halten Bären
keinen Winterschlaf, sondern eben eine Winterruhe. So fahren sie auch ihre Köpertemperatur nur minim zurück – ganz im Gegensatz zu Tieren, die einen richtigen Winterschlaf abhalten. Während der Winterruhe reduzieren Bären ihren Stoffwechsel auf etwa 75 Prozent, doch sind sie jederzeit in der Lage, die Körperfunktionen rasch wieder in den Normalzustand zu versetzen. So ist es ihnen möglich auf allfällige Gefahren, wie Angreifer, schnell zu reagieren. Während der Winterruhe wird die Energie für die Aufrechterhaltung der lebensnotwendigen Funktionen ausschliesslich über die in den Sommer- und Herbstmonaten angefressene Fettschicht bezogen. In dieser Zeit können Bären bis zu einem Drittel seines Körpergewichtes verlieren, und dementsprechend bauen sie ihre gesamten Fettreserven ab.

Üblicherweise beginnt die Winterruhe zwischen Oktober und Dezember und endet zwischen März und Mai. Sind sie wieder unterwegs und haben ihr Winterquartier endlich verlassen, beginnt die Paarungszeit. Bären leben polygam und können sich mehrmals mit unterschiedlichen Partnern paaren. Bären sind typische Einzelgänger; nach der Paarung gehen Männchen und Weibchen
wieder getrennte Wege. Die Paarungszeit dauert bis August, und nach einer Tragzeit von sieben bis neun Monaten kommen im Winterlager meist zwei bis drei sehr kleine Junge, nackt und blind, zur Welt – gerade einmal 500 Gramm schwer. Erst im Frühling, wenn die Babybären grösser sind und es draussen wärmer wird, verlassen sie zum ersten Mal die Höhle und folgen ihrer Mutter auf Schritt und Tritt. Während dieser Phase ist die Bärenmutter ausgesprochen aggressiv und schreckt auch nicht davor zurück, männliche Artgenossen rabiat anzugreifen, wenn diese ihrem Wurf zu nahe kommen. Die Jungtiere werden etwa vier Monate lang gesäugt und bleiben etwa zwei Jahre bei der Mutter. Danach gehen sie ihres Weges.