Die schrillen Pfiffe sind oft das Einzige, was man in den Bergen von diesen scheuen Tieren mitbekommt. Selbst, wenn sie nicht gerade Winterschlaf halten.

Die putzigen Nager verliessen vor einigen Wochen ihren mit weichem Gras ausgepolsterten Bau und begeben sich nach mindestens einem halben Jahr Winterschlaf wieder auf die Felder. Einige von ihnen haben sich zuvor gar um neun Monaten von der Aussenwelt verabschiedet. Nun tanken sie Sonne und Energie, liegen flach auf dem Boden, die Beine in alle Himmelsrichtungen ausgestreckt.

Putzige Panik
Allzu lange entspannen die Murmeltiere jedoch nicht an der Sonne – schliesslich verfügen sie nur über wenige Schweissdrüsen und hecheln nicht. Deshalb vertragen sie keine hohen
Temperaturen und geraten leicht in Hitzestress. Und Stress liegt ihnen generell fern; ausser es droht Gefahr, dann verschwinden sie blitzartig im Bau oder in einer der ein bis zwei Meter langen Fluchtröhren. Der Warnpfiff, den sie dabei ausstossen, ist eigentlich ein Schrei. Auch wenn es süss aussieht, wenn das Murmeltier
auf zwei Beinen und mit weit aufgerissenem Mund so dasteht – Panik herrscht. Denn sobald Feinde wie Fuchs oder Steinadler auftauchen, warnen sich die Tiere gegenseitig. Je nach sozialem Rang des kleinen Schreihalses sind dabei Flucht bis Reaktionslosigkeit die Folge.

Murmeltier (c)istock
Murmeltier (c)istock

Man «näselt» zur Begrüssung
Die meisten Murmeltiere sind gesellige Artgenossen und leben in Familienverbänden von bis zu 15 Mitgliedern. Trifft man sich unter seinesgleichen, wird zur Begrüssung die Nase aneinander gerieben. Denn: die Tiere erkennen sich gegenseitig am Geruch. Sie verständigen sich untereinander durch im Kehlkopf erzeugte Schreie, die vom Menschen als Pfeiftöne wahrgenommen und leicht mit Vogelstimmen verwechselt werden können. Wie das in der Schweiz ansässige Alpenmurmeltier Marmota marmota leben die meisten Arten in Kolonien. Nicht ganz dem Menschen aus früheren Zeiten unähnlich, besteht diese Kolonie aus einem dominanten Paar sowie deren jüngeren Verwandten. Ausgewachsene Murmeltiere verlassen dann nach gut zwei Jahren die Gruppe, um die Führung einer eigenen Kolonie zu übernehmen.
Weniger putzig: Dabei schrecken die Tiere auch nicht davor zurück, den Nachwuchs des dortigen dominanten Männchens zu töten. Sie können also auch rabiat werden, die kleinen Nager. Das Waldmurmeltier derweil ist ein Einzelgänger, das seinen Bau gegen Artgenossen verteidigt. Beim Gelbbauchmurmeltier lebt ein einzelnes Männchen mit verwandten Weibchen zusammen; auch hier sind die Männchen aggressiv gegen Geschlechtsgenossen, die möglichst vom eignen Bau ferngehalten werden.

Das Murmeltierparadies
Tatsächlich gibt es weltweit 14 bekannte Arten. Im Tierpark Rochers-de-Naye, auf dem gleichnamigen Gipfel und Endstation der aus Montreux kommenden Zahnradbahn, waren bis vor gut drei Jahren auch diverse andere Arten zuhause. «Die Vorschriften betreffend Haltung von Naturtieren haben sich aber mittlerweile geändert», wie Niklaus Mani, Marktmanager Europa der Zahnradbahn MOB, zu berichten weiss. Vor gut 20 Jahren errichtet, war das Murmeltierparadies ein eigentliches Kompetenzzentrum für die kleinen Nager. «Spezialisten aus aller Welt trafen ein, um die verschiedenen Arten aus drei Kontinenten bei uns zu studieren», erzählt Mani. Doch das Experiment musste aufgrund der geänderten Vorschriften abgebrochen werden. Die Idee des «Murmeltierparadieses» war allerdings nie, die Arten aus wissenschaftlichen Gründen zu vermischen; «das wäre sicherlich nicht sinnvoll», erklärt Mani.

Murmeltier (c)istock
Murmeltier (c)istock

Wird’s klar, wird geschlafen
So leben nunmehr auf dem Rochers-de-Naye, wie auch in der restlichen Schweiz, nur noch das Alpenmurmeltier – seine Verwandten aus Sibirien, Kirgisien, Afghanistan, Kamtschatka, Pakistan und Nordamerika sind nicht mehr anzutreffen. Doch auf Alpweiden und subalpinen Rasen sowie in Nationalparks wie der Alp Stabelchod, auf Grimmels, in der Val Trupchun, auf dem Murter oder auch in der Val Mingèr, sind sie nach wie vor weit verbreitet. Und momentan sind sie am Fressen, was das Zeug hält. Schliesslich müssen sie sich einiges an Fettreserven bis im September zulegen. Pro Tag verputzen Alpenmurmeltiere etwa anderthalb Kilo Grünzeug. Schlussendlich reichen ihnen gut 1200 Gramm Körperfett, um die lange Ruhezeit überstehen zu können. Denn sobald die erste Kältewelle Einzug hält, verabschieden sich die Nager in den Winterschlaf.

Einzigartiges Naturwunder
Und dieser Mechanismus ist ein eigentliches Wunder: Während des Winterschlafs sinkt die Atmung auf etwa zwei Züge pro Minute und der Herzschlag von 200 auf 20 Schläge pro Minute. Der Energieverbrauch sinkt auf weniger als zehn Prozent, während sich Darm um Magen energiesparend um etwa die Hälfte verkleinern. Etwa alle 2 Wochen steigt ihre Körpertemperatur von 3 bis 6 auf 38 Grad an, um für etwa zwei Tage dort zu verbleiben. Der genaue Grund für diesen Anstieg ist noch Gegenstand der Forschung. Vermutet wird, dass damit das Absterben der inaktiven Nervenzellen verhindert werden kann. Steigt die Aussentemperatur wieder auf Frühlings-Niveau, löst dies das Erwachen der Murmeltiere aus. Nicht wenige Menschen blicken auf diese Errungenschaft der Murmeltiere nicht ganz neidlos.
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Elisha Nicolas Schuetz