«Berühmteste Ostschweizerin», «Kulinarisches Kulturgut», «Königin der Würste»: Es gibt viele Bezeichnungen für die St.Galler Bratwurst. Kaum werden die Tage wieder länger und wärmer, zischt und brutzelt der weisse Klassiker wieder überall auf Schweizer Grillrosten, sei es beim Bräteln am Waldrand oder beim Fussballfest in der Stadt. Und die Nachfrage ist gross: Alleine an der Herbstmesse OLMA landen jeweils etwa eine halbe Million dieser Bratwürste auf dem Grill. Jährlich werden nur im Kanton St.Gallen darum 30 Millionen Bratwürste produziert – aneinandergereiht ergäbe das eine 6000 Kilometer lange Wurst. Aber was genau macht dieses Produkt so beliebt?

Röstaromen in der Nase

«Das feine Brät ist einzigartig: Gerade Berner oder Westschweizer Würste sind dagegen eher grob», sagt Urs Bolliger, Geschäftsführer der Sortenorganisationen St.Galler Bratwurst IGP. Zweitens hänge die Beliebtheit auch mit dem Grilltrend der letzten 30 Jahre zusammen. Denn die St.Galler Bratwurst ist für den Rost gemacht und zeigt sich neben dem Cervelat als perfekte Grillwurst. Drittens sorge der Zusatz von Milch nicht nur für die weisse Farbe der Wurst, sondern auch für Röstaromen aus karamellisiertem Milchzucker. «Wenn einem bei einem Volksfest dieser Duft in die Nase steigt, dann erkennt man ihn sofort», fügt Bolliger an.

Ein mittelalterliches Rezept

Für die originale Kalbsbratwurst werden nebst Kalbfleisch zwingend auch Schweinespeck, Salz, weisser Pfeffer und Macis, der Schalenabrieb der Muskatnuss, verwendet. Weitere Gewürze wie Kardamom oder Ingwer sind dagegen optional. Diese Grundzutaten haben sich seit dem Mittelalter nicht gross verändert, wie schon ein Rezept der St.Galler Metzgerzunft von 1438 zeigt. Im Unterschied zu damals wird die Mischung heute aber in einem «Cutter» mechanisch zerkleinert. Anschliessend füllt man das feine Brät in Schweinedärme und gart es etwa 20 Minuten im 70 Grad heissen Wasser. Gemäss Urs Bolliger ist der Umgang mit den Rohstoffen eine Kunst, die vom Wurster viel Know-how und Fingerspitzengefühl verlangt: «Das ist die Kür in jedem Fleischereibetrieb, da lässt man nicht jeden ran.»

Urs Bolliger
Urs Bolliger, Geschäftsführer der Sortenorganisationen St.Galler Bratwurst IGP. © zVg

Blind degustiert

Etwa 40 zertifizierte Metzgereien stellen die IGP-Version (Indications géographiques protégées) der St.Galler Bratwurst ausschliesslich in der Ostschweiz her. Im Zentrum der Produktion steht dabei das sogenannte Pflichtenheft, das nebst den Zutaten auch das Gewicht zwischen 110 und 300 Gramm definiert. Für Urs Bolliger ist wichtig, dass dieses Pflichtenheft die Qualitätssicherung garantiert: «Eine Billigwurst aus dem Supermarkt hat viel mehr Fett und Speck. Dafür verliert sie an Biss, und auch die Grilleigenschaften sind nicht mehr top.» Zweimal pro Jahr hole die Sortenorganisation St.Galler Bratwurst IGP zudem unangemeldet Muster von den Betrieben für Blind-Degustationen: Gibt es bei der Verkostung der Produkte Ausreisser gegen unten, werden Verbesserungsprozesse eingeleitet.

Blick über den Senfgraben

Bleibt zu guter Letzt noch die oft diskutierte Frage zum Senf – ist er bei der St.Galler Bratwurst wirklich ein No-Go? «Das Mekka der Bratwurst ist die Stadt St.Gallen; Senf ist dort ein Riesen-Tabu. Doch je weiter weg vom ‹Epizentrum› man sich bewegt, desto weniger puritanisch wird es», wägt Urs Bolliger ab. Weiter westlich tauche bei Winterthur und Wetzikon bald einmal der «Senfgraben» auf, und bereits im St.Galler Rapperswil habe niemand mehr ein Problem damit, wenn Senf zur Wurst gereicht werde. Auch wenn der Experte die Debatte augenzwinkernd betrachtet, gibt es für ihn im Kern doch einen ernsthaften Grund für das Verbot: «Um die feine Aromatik aus Muskat und Röstaromen herauszuschmecken, sollte man den Senf weglassen: Denn er überdeckt diese Geschmacksnuancen.»

www.sg-bratwurst.ch
www.st.gallen-bodensee.ch