Ein kürbisschen Verliebt
Man kennt ihn als Suppe oder geschnitzte Halloween-Fratze, manchmal verwandelt er sich von Feenhand in eine Kutsche: Was steckt im feurig-orangen Fruchtgemüse, ausser der Kraft der Kerne?

Man kennt ihn als Suppe oder geschnitzte Halloween-Fratze, manchmal verwandelt er sich von Feenhand in eine Kutsche: Was steckt im feurig-orangen Fruchtgemüse, ausser der Kraft der Kerne?
Für viele sind sie zur Zeit der Nieseltage und Nächte, die gefühlt beginnen, kaum haben sie geendet, sicherheitsorange Seelenwärmer: Im Spätsommer, wenn die Felder längst abgeerntet sind, beginnt die Kürbissaison. Mit Formen, die an Bowlingkugeln oder Ufos erinnern, sie zieren Hauseingänge – gerne auch ausgehöhlt und innen heraus leuchtend.
Tatsächlich sind von den 800 Kürbissorten etwa 200 essbar, die restlichen entzünden Entzückung mit ihrer Farbpalette, die von gelb über grün bis zu rot reicht. Manche haben sich gar in eine gestreifte oder gesprenkelte Schale geworfen. Was das Auge erfreut, regt auch den Appetit an: Das Gewächs verwöhnt den Gaumen in vielen Variationen.
Von pürierstabcremig bis ofenkross in der Textur, herb bis honigsüss im Geschmack, pur oder als Pointe im Risotto oder Herbstsalat: Der Kürbis ist ein kulinarischer Tausendsassa für alle Gänge, der nicht nur mit seinem attraktiven Äusseren punktet. Für das kräftige Orange vieler Kürbisse ist der grosse Gehalt an Beta-Karotin verantwortlich, das als Vorstufe für Vitamin A gilt. Kalorienarm und zugleich sättigend, ist das Fruchtfleisch reich an Vitaminen, Antioxidantien, Mineralien und Ballaststoffen. Dasselbe gilt für die Kerne, was sie geröstet zum Superfood-Snack und gepresst zum kostbaren Öl macht. Jede Sorte hat ihren eigenen Geschmacksnuancen und Eigenschaften.
Zu den lukullischen Lieblingen zählen Butternut-, Hokkaido-, Muskat- und Sweet-Dumpling-Kürbisse. Der birnenförmige, blasse Butternut lässt sich leicht schälen und das buttrige Fruchtfleisch entfaltet einen nussigaromatischen Geschmack. Der Hokkaido-Kürbis muss man meist nicht von seiner Schale befreien, sein orangerotes, festes Flesch eignet sich für fast alle Gerichte, ob als Suppe oder dünn aufgeschnitten als mariniertes Carpaccio. Sogar roh verspeisen lässt sich der dunkelgrüne bis beige Muskat-Kürbis, der sich wegen seiner Süsse als Dessertzutat anbietet. Den Sweet Dumpling kann man anstauen und dann anbeissen: Der bekannte, dekorative Winterkürbis mit hellem Fruchtfleisch mundet mit kastanienähnlichen Aromen und ist, wie der Name «süsses Dickerchen» vermuten lässt, leicht süsslich. Für alle Sorten gilt: Je älter ein Kürbis ist, desto faseriger ist sein Fruchtfleisch.
Wer vor lauter Facetten seinen Favoriten nicht mehr sieht, dem sei zur «Klopfprobe» geraten: Klingt der Kürbis dumpf und hohl, tut er den Geschmacksknospen am meisten wohl – der Ton gibt Aufschluss über die Reife des Fruchtgemüses, ebenso gilt ein verholzter Stiel als Qualitätsmerkmal. Einmal hereingelassen, ist der Kürbis kaum mehr wegzudenken aus der Küche. Das war nicht immer so: Zwar verbreitete sich der Kürbis ab dem 16. Jahrhundert in Europa, bliebt in der Schweiz jedoch lange unbeachtet. Auf das Engagement von Bauernhöfen in den 90er-Jahren ist es zurückzuführen, dass das Interesse gewachsen ist – und nicht nur Teller, sondern auch Terminkalender erobert: Eine Kürbisausstellung jagt die nächste, es gibt Schnitz-Workshops oder Wettkämpfe im Wiegen.
Anders als der Kürbis selbst, lässt sich der Appetit auf ihn kaum aushöhlen. Die Liebe zum bildhübschen Schwergewicht hält für immer – oder zumindest: «Kürbis das Saisonende uns scheidet».
Botanisch gesehen Obst, nach Lebensmitteldefinition Gemüse – so oder so: Das «Fruchtgemüse» ist Anlass für Feierlichkeiten voller Kunst und Kulinarik.
Kürbisausstellung Juckerhof, Seegräben
Riesenkürbis-Schnitzfestival, Ludwigsburg (DE)
Kürbislabyrinthe, Lüterkofen