Heute sind die Echten Kastanien oder Edelkastanien eine Delikatesse. Die dunkelbraune Frucht mit ihrem süssen und nussigen Geschmack und ihrer leicht mehlige Konsistenz kennen wir in Form von Püree, Kuchen, geröstet oder als zuckrige Maron glacé. Während die «Keschtn» oder «Chegele», wie sie im Südtirol respektive in manchen Teilen der Schweiz genannt werden, heute als lokale Spezialität gelten, waren sie früher weit verbreitetes Grundnahrungsmittel.

Brot der Armen

Die Edelkastanie wächst hauptsächlich in warmen Gegenden südlich der Alpen und war vom Mittelalter bis ins späte 19. Jahrhundert ein weit verbreitetes Grundnahrungsmittel. Vor allem die Landbevölkerung war darauf angewiesen, da der Anbau der Kastanie weniger anspruchsvoll als jener von Getreide ist. Gegessen wurden sie entweder frisch, getrocknet, roh oder gekocht, geröstet oder als Kastanienmehl in Backwaren. Da es besonders robust und langlebig ist, wurde auch das Holz vielfältig verwendet. Zum Beispiel für Telegraphenmäste, Eisenbahnschwellen, Gartenzäune und vieles mehr. Auch für Möbel eignet es sich besonders gut, da das Holz eine wunderschöne Maserung besitzt.

Da die Kastanie jedoch nach und nach einen schlechten Ruf erhielt und immer stärker assoziiert wurde mit schlechter Verdauung, Kopfschmerzen und anderen Problemen, wurde sie zunehmend als Nahrung für die arbeitende Bevölkerung angesehen und weniger für die höheren Stände. Mit der Industrialisierung setzte im 19. Jahrhundert zusehends ein Rückgang des Anbaus ein. Entwaldung und Schädlinge führten zu einem grossflächigen Niedergang der Kastanienwälder, deren Bestände sich erst seit den 1990er-Jahren wieder erholen.

Kastanien Bratpfanne
Kastanien röstet man traditionellerweise in grossen Pfannen. © IDM Südtirol, Alex Filz

Der Baum der Zukunft

Zu unterscheiden gilt es übrigens die Esskastanie und die sogenannte Rosskastanie. Obwohl äusserlich extrem ähnlich, sind die beiden botanisch nicht verwandt. Die Namensähnlichkeit gründet rein auf der äusserlichen Ähnlichkeit.

In der Schweiz kommt die Edelkastanie vor allem in klimatisch milden Gebieten wie im Wallis, um den Genfersee und insbesondere im Tessin vor. Auch in Österreich und in Deutschland gibt es weitläufige Gebiete, in denen Kastanien nach wie vor angebaut und intensiv genutzt werden.

Weil die Kastanie dank ihrer mediterranen Herkunft gut mit Hitze und Trockenheit auskommt und zudem sehr anpassungsfähig ist, gerät ihre Bedeutung mit Blick auf den Klimawandel immer stärker in den Fokus. Einige sprechen deshalb von der Kastanie als «Baum der Zukunft».

Die Kastanie ist besonders robust und anpassungsfähig. © IDM Südtirol, Trickytine

Heisse Marroni für die kalten Tage

Die Kastanie ist kulinarisch sehr vielfältig. Vermicelle, Marron glacé und Torta di Castagne sind nur einige der feinen Spezialitäten, die aus Kastanien gemacht werden. Auch auf einem Wildteller darf die kleine Nuss nicht fehlen. Und wer kennt ihn nicht, den süsslichen Duft der Marroni-Stände, wenn die Tage wieder kälter werden? Für geröstete «heisse Marroni», wie die gerösteten Kastanien auch genannt werden, braucht es jedoch nicht zwingend eine grosse Marroni-Pfanne.

Kulturelle Highlights

Nicht nur kulinarisch, auch kulturell wird im Rahmen der Kastanienernte so einiges geboten. An vielen Orten, wo der Kastanienanbau eine lange Tradition hat, werden Feste zu deren Ehre gefeiert. In Fully (VS) beispielsweise feiert man jedes Jahr im Oktober die «Fête de la Châtaigne» mit über 300 Marktständen.

Im Bergell dauert das «Kastanienfestival» gar vier Wochen. Zwischen den Dörfern Soglio, Bondo und Castasegna befindet sich einer der grössten gepflegten Kastanienwälder Europas, zu dessen Ehren dieses Fest gefeiert wird. Die Veranstaltungen bieten Einblick in ganz viel verschiedene Bereiche. Nebst Führungen in die Haine und Kastanienselven werden auch Lesungen sowie Vorträge gehalten und sogar Kochkurse angeboten. Der Beginn der Erntesaison wurde hier schon immer mit auf dem Feuer gerösteten Kastanien und einem Glas Wein gefeiert. Diese Tradition wird nun mit dem Festival wieder neu belebt.

Mit dem Keschtnriggl schält man gebratene Kastanien. © IDM Südtirol, Trickytine

Südtiroler «Kastanientage»

Besonders lohnenswert ist ein Besuch an den Kastanientagen in Lana, Völlan, Tisens oder Prissian. Bereits seit 25 Jahren stehen die «Keschtn» hier immer von Mitte Oktober bis Anfang November ganz im Mittelpunkt. Zu bestaunen gibt es zahlreiche lokale Produkte, viel Wissenswertes über Traditionen und Brauchtümer der Region, gastronomische Höhenflüge und ein abwechslungsreiches und spannendes Programm. Die Tage heissen auch «Keschtnriggl», benannt nach dem traditionellen Südtiroler Werkzeug – ein geflochtener Korb, der zum Schälen der gerösteten Kastanien verwendet wird.