Egal, ob man vom Goms, vom Simplon oder vom Unterwallis kommt – das barocke Stockalperschloss beeindruckt mit seiner Grösse und seinen drei Zwiebeltürmen. Es ist schweizweit das imposanteste weltliche Barockgebäude. Die Person von Kaspar Stockalper, 1609 bis 1691, polarisiert. Er hat sich aus eigener Kraft hochgearbeitet, geadelt wurde er erst 1653 und trug den Namen Stockalper vom Thurm. Er gab der Walliser Wirtschaft Auftrieb und generierte damit Verdienstmöglichkeiten und Wissen für die Walliser Bevölkerung. Er förderte die Bildung und brachte Jesuiten, Ursulinen und Kapuziner ins Wallis. Er baute und unterstützte Klöster, Kirchen, Spitäler, Schulen und Heime. Noch heute ist das Briger Kollegium Spiritus Sanctus eine gut besuchte Kantonsschule – einst von Stockalper gegründet. Mit dem Ausbau der Saumstrasse über den Simplon machte er den Pass zu einer bedeutenden Nord-Süd-Achse und kurbelte damit den internationalen Handel im oberen Rhonetal an. Er war Arbeitgeber von rund 5000 Menschen und wurde später «Fugger der Alpen» genannt.

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Anderseits hat er immer wieder politische Ämter an sich gerissen und benutzt, um sich selbst zu bereichern. Er bestach Beamte. Er stürzte Schuldner in den Bankrott. Er spekulierte mit zahlreichen Immobilien in verschiedenen Ländern. «Nihil solidum nisi solum» ist am Geländer der Treppe zum Schloss zu lesen: «Nichts ist beständig ausser Grund und Boden.» Er besass neben dem Transitmonopol die Wirtschaftsmonopole für den Handel mit Lärchenharz, Zunderschwämme, Schnecken – und 1648 sicherte er sich schliesslich das einträgliche Salzmonopol. Zu seinem Portfolio gehörten Transporte und Geleitzüge über den Pass, er kassiert Zölle und Weggelder, unterhielt Lager für umfassende Logistik, importierte, exportierte, schürfte Eisen, Blei, Kupfer und Gold, raffte Agrarland zusammen, erstellte Grossbauten, gab Darlehen und vermietete Söldnerheere. Ist er nun ein Förderer seiner Walliser Heimat oder ein barocker Wirtschaftskrimineller?

Der Aufbau seines europaweiten Imperiums gelang Kaspar Stockalper einerseits mit einer guten Ausbildung in Brig, Venthône und Freiburg in Breisgau. Er sprach mehrere Sprachen und war auch naturwissenschaftlich begabt. Er führte zeitlebens penibel seine Handels- und Rechnungsbücher. Zwölf von dreizehn Bänden sind erhalten und wurden in bearbeiteter Form veröffentlicht. Sie sind eine unschätzbare Quelle für HistorikerInnen. Stockalper verstand es, sich zwei Mal gewinnbringend zu verheiraten und seine Macht durch das Positionieren seiner Verwandtschaft an einflussreichen Stellen und durch Freundschaften mit Schlüsselpersonen in Politik, Kirche und Wirtschaft Loyalitäten und Abhängigkeiten aufzubauen und zu halten. Er muss also ein guter Kommunikator gewesen sein.

© Brig Simplon Tourismus
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Der hauptsächliche Grund für seine unglaubliche Karriere ist aber bestimmt in seiner Persönlichkeit begründet. Er war machthungrig, rücksichtslos, skrupellos. Er warb Söldner im Wallis. Er tauschte am französischen Hof Söldner und Kredite gegen Handelsprivilegien. Er intrigierte hemmungslos und brachte Schuldner in den Ruin. Er arbeitete aber auch viel und hart, diente sich durch fast alle politischen und militärischen Chargen und vertrat das Wallis an der Eidgenössischen Tagsatzung, an der Katholischen Konferenz und am französischen Hof. 1670 wurde er Landeshauptmann und damit Oberhaupt der Legislative, Exekutive und Judikative. Mit gekrönten Häuptern verkehrte «Stockalper der Grosse» auf Augenhöhe. Am Hof von Ludwig XV nannte man ihn «le roi de Simplon». Vor allem aber wusste er Gott auf seiner Seite. Sein Leitspruch war: «Sospes Lucra Carpat», Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen. Die drei Worte sind zugleich ein Anagramm – «Nomen est Omen»: Casparus Stocalper! Kapitalanhäufung sieht er nicht als Selbstzweck, sondern als Gradmesser für ein gottgefälliges Leben.

Kaspar Stockalper wurde 1609 geboren, der Dreissigjährige Krieg tobte von 1618 bis 1648 in Europa. Der Walliser baute sein Imperium also zu Kriegszeiten auf. Man muss sich dabei bewusst sein, dass dieser Krieg ein Neben- und Nacheinander unterschiedlichster Kriege war. Die Eidgenossenschaft – und das zugewandte Wallis – verstand es schon damals, sich aus Kriegen herauszuhalten, doch ohne Folgen blieben die Kriege rundherum nie. Wichtig waren schon damals die Verkehrswege über die Alpenpässe für den Handel und die Kriegslogistik. In den Bündner Wirren rangen die Kriegsparteien um die Herrschaft über die Pässe im Osten. Den Weg über den Gotthard sicherte sich das spanische Habsburg als Süd-West Verbindung. Damit rückte der Simplon als Alternative ins Zentrum des Interesses. Stockalper packte diese Chance und sicherte sich den Simplon und damit auch den Kontakt mit Schlüsselpersonen in Paris, Brüssel und Antwerpen. Auch mit dem katholischen Solothurn pflegte er enge Kontakte. Indem er im März 1634 eine einflussreiche Adlige mit ihrem Tross von 200 Helfern über den Simplon führte, machte er die Simplon-Alpenroute – und sich selbst – an den Fürstenhöfen Europas bekannt. Er investierte das Einkommen für die Alpenüberquerung in den Ausbau der Passtrasse, baute Susten und Lager, besonders bekannt ist neben dem Palast in Brig heute noch der Stockalperturm in Gondo an der Schweizer Grenze. Stockalper nutzte die politische Lage des Wallis gnadenlos aus und kann deshalb als Kriegsgewinnler bezeichnet werden.

© Brig Simplon Tourismus
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Bis 1676 war Stockalper erfolgreich. Doch nicht umsonst behaupten böse Zungen: «Der älteste Walliser ist der Neid.» Für Stockalper wendete sich das Blatt 1676. Einflussreiche Walliser Familien rechneten sich aus, dass sie viel profitieren könnten, wenn sie Stockalper eliminieren würden. Besonderen Hass hegte Adrian Inalbon, der gern die Tochter von Stockalper geheiratet hätte und abgeblitzt war. Zudem waren viele öffentliche Personen bei Stockalper hoffnungslos verschuldet. 89 von 110 Abgeordnete im Landtag konnten die geliehenen Summen nicht zurückzahlen, ohne ihre Güter zu verlieren. Die Feinde sammelten Anklagepunkte gegen Stockalper und legten sie am Landtag im Mai 1678 vor. Sie beschuldigten ihn, er habe das Salzmonopol missbraucht, Zölle illegal erhöht, Söldner betrogen und Ämter erschlichen. Dabei gingen auch sie nicht zimperlich vor: Sie zwangen Stockalper unter Todesdrohung, sich schuldig zu bekennen, und all seine Güter abzuliefern. Er kam in Haft und wurde erst freigelassen, als er als Landeshauptmann abdankte, die Salzvorräte, Waffendepots und Schutzbauten übergab und ein horrendes Lösegeld zahlt. Unterdessen wurde bereits sein Vermögen inventarisiert. Seine Immobilien im Wallis bis Saint-Léonard besassen einen Wert von über 2 Millionen Walliser Pfund. Das entsprach damals rund 120’000 Kühen, die aneinandergereiht eine Kolonne von 270 Kilometern gebildet hätten. Hätte man auch das Schloss, die Immobilien ausserhalb des Wallis und seine Mobilien dazugezählt, wären es mehr als 240’000 Kühe gewesen.

Um drastischen Strafen zu entgehen, floh Stockalper über den Simplon nach Domodossola. Nach fünf Jahren im Exil, als Greis im Alter von 74 Jahren, durfte er zurückkehren, nicht ohne Abbitte zu leisten und Mässigung zu versprechen. Er verbrachte den Rest seines Lebens in seinem Schloss, wo er 1691 im Alter von 81 Jahren starb. Er überlebte alle seine 14 Kinder. Nur Sohn Petermann führte das Geschlecht in der männlichen Linie weiter, denn er hatte einen Sohn. Baron Joseph von Stockalper, genannt Peppino, 1868–1955, war der letzte Nachfahre, der das Stockalperschloss bewohnte. 1975 erlosch das Geschlecht der Briger Stockalper mit dem Tod von Dr. Kaspar von Stockalper, der Jurist und Politiker war. 1984 hat das Bundesgericht ein Gesuch der Familie Bonvin-von Stockalper aus Sitten abgelehnt, die den beiden Söhnen den Namen der Mutter weitergeben wollte, um zu verhindern, dass das alte Geschlecht ausstirbt. Mit der Einführung des neuen Eherechts nur wenige Jahre später indes wurde dies dennoch möglich, sodass die Linie der Stockalper aus Brig wieder aufblühen konnte. 1948 kaufte die Gemeinde Brig das Stockalperschloss für 440’000 Franken.