Es gibt Menschen, die behaupten, der Herbst sei die Jahreszeit der Melancholiker. Eine Zeit des Rückzugs oder gar des Regenwetters. Diese Menschen waren offensichtlich noch nie im Aostatal. Denn dort ist der Herbst kein Rückzug, sondern eine Einladung zum Aufbruch – allerdings einer in dicken Socken und mit Thermoskanne im Rucksack. Sobald sich der Sommer zurückzieht, steigen in der norditalienischen Region die Chancen, dass man mehr Murmeltiere als Menschen sieht und daran erinnert wird, was man eigentlich gesucht hat, wenn man von «Erholung» spricht – wie etwa frischere Luft und weicheres Licht. Das Aostatal, zwischen Mont Blanc, Matterhorn und Gran Paradiso, ist im Herbst vor allem eines: still. Und genau das ist seine grösste Stärke. Hier kann man stundenlang unterwegs sein und Gämsen, Steinböcke sowie gastfreundliche Hüttenwarte zählen, die gerade aromatischsüsslichen Fontina-Käse AOP über die hausgemachte Polenta reiben oder eine Flasche regionalen Wein entkorken.

Erst aufstiegen, dann anbeissen

Wer weniger berggängig ist und nicht gleich den Mont Glacier auf 3185 Metern Höhe erklimmen mag, kann es ruhiger angehen: Rund um den Naturpark Mont Avic, der im Jahr 1989 gegründet wurde, gibt es eine Fülle an Routen, von der Nachmittagsrunde bis zur ambitionierten Tageswanderung. Der Park ist etwas weniger bekannt als seine Nachbarn, der Gran Paradiso Nationalpark und der Parc national de la Vanoise. Auf einer Fläche von über 5700 Hektar zeigt sich das ganze Spektrum der Biodiversität. Die ursprünglichen Wälder, kristallklaren Seen und Alpweiden verwandeln sich zu dieser Jahreszeit in ein Farbenmeer. Die Alta Via 2, auch «via naturalistica» genannt, schlängelt sich durch den Park: Die gesamthaft 14 Etappen von Courmayeur nach Donnas lassen sich je nach Lust und Laufschuhqualität beliebig einteilen. Kinder im Schlepptau?

Ja, auch Wandervögelchen mit Schuhgrösse 35 oder kleiner können hier auf spielerische Weise die alpine Flora und Fauna entdecken – mit «Grosse-Augen-Garantie». Pro Strecke dauern die Wanderungen zwischen drei und fünf Stunden. Abenteuerlustige Minimalisten übernachten in Biwaks oder Berghütten, Naturfreunde mit Hang zum Komfort im Hotel.

Appetit stillen mit Aussicht in den Berghütten. © Regione Autonoma Valle d’Aosta

Sättel und andere Sehnsüchte

Natürlich kann man auch ohne Wanderschuhe anreisen. Der Herbst im Aostatal lässt sich ebenso gut vom Fahrradsattel aus erleben dank zahlreicher Panoramastrassen, wie etwa von Aosta nach Courmayeur, und verwunschenen Waldwegen, die man mit gemütlichem Cruisen oder sportlichem Kurbeln zurücklegt. Für Mountainbiker geht es auf wilden Pfaden durch die Landschaft rund um Champdepraz oder durch den Naturpark Mont Avic mit wurzeligen Trails. Nach den Wurzeln ist vor der Würze: Denn auch Fahrradfahrer tun gut daran, Wohlfühl-Delikatessen wie den luftgetrockneten Lardo di Arnad zu kosten oder die herzhafte «Seupa à la Vapelenentse» auszulöffeln.

Verbleiben schliesslich nur noch Schwarzbrotkrümel und Saucensprenkel auf dem Teller, lässt man die majestätischen Gipfel von Monte Rosa, Matterhorn, Grand Combin, Mont Blanc und Gran Paradiso hinter sich – und dann kommt es doch auf: ein My Melancholie.

Aufatmen an Alpenseen wie dem Lago Blu. © Xavier and Caroli

Event-Tipp: Marché au Fort

Am Wochenende des 11. und 12. Oktobers zieht es feine Nasen und Gaumen in das mittelalterliche Dorf Bard: Unterhalb der Festung findet das grösste kulinarische Ereignis des Aostatals statt. Gassen füllen sich mit Düften von würzigem Fontina, frisch gebackenem Brot, süssem Alpenhonig und anderen typischen Delikatessen. Bei Präsentationen, Workshops und Degustationen kann man sich die schmackhaften Schätze des Aostatals auf der Zunge zergehen lassen.

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