Die jahrhundertealte, aber immer noch aktuelle Scherenschnitt-Kunst gehört zu den lebendigen Traditionen des Kantons Waadt. Das Pay-d’Enhaut gilt als Schweizer Wiege der ursprünglich aus dem Orient stammenden Fertigkeit. Es ist die Heimat von Johann Jakob Hauswirth (1809–1871) und Louis Saugy (1871–1953), den Vätern dieser Tradition. Einige ihrer Kunstwerke sind im Musée du Vieux Pays-d’Enhaut in Château d’Oex ausgestellt, das Mitte September nach einem Umbau seine Türen wieder öffnet. Der Zauber einer heilen Welt, das alltägliche Leben in den Dörfern von früher, aufgezeigt in feinsten Details, sind die faszinierenden Elemente und Themen der Papierschnitte. Auch Exponate heutiger Scherenschnitt-KünstlerInnen sind dort zu bewundern.

Auch in Rougemont ist die Scherenschnittkunst präsent, dort jedoch an der frischen Luft: Auf dem Lehrpfad «Sur Les Traces Du Passé Avec Louis Saugy» erfährt man viel Interessantes über diese Kunstform und über das Leben von Louis Saugy.

Lebendige Architektur

Das Pays-d’Enhaut entlang der Saane punktet mit einer herrlichen Landschaft und dem architektonischen Erbe. Die relativ kleine  Region liegt fernab industrialisierter Grossstädte. Die Häuser im Chaletstil zeugen von Kreativität und Erfindergeist. Es ist das Ergebnis von traditionellem Handwerk und dem sorgfältigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Holz gilt als der wichtigste Rohstoff der Gegend, was gerade die Chalets deutlich machen. Deren Fundament besteht aus Kalkmörtel und Steinen. Die Giebel und die Balken der blumengeschmückten Fassaden sind oft mit kunstvollen Schnitzereien, farbigen Malereien und mit biblischen Inschriften und Gravuren verziert. Viele Chalets aus dem 17. Und 18. Jahrhundert sind bis heute erhalten geblieben. Sie bilden mit der Umgebung eine harmonische Einheit. Bauliche Richtlinien gewährleisten eine stimmige Architektur.

Rougemont
Marie-José Rochat bietet in ihrer winzigen Boutique Scherenschnitte zum Kauf an.

Dorfspaziergang

In Rougemont schmiegen sich die prächtigen Holzchalets mit den üppigen Schnitzereien eng aneinander. Auf einem gemütlichen Spaziergang durch das beschauliche Dorf gibt es viel zu entdecken. In einer Seitenstrasse liegt verborgen eine kleine Boutique. Im Schaufenster ist ein herzförmiger Scherenschnitt ausgestellt; schwarze Figuren auf weissem Hintergrund werden von zierlichen, tiefroten Rosetten geschmückt. Ein kleines Meisterwerk, liebevoll präsentiert von Boutique-Inhaberin Marie-José Rochat. Sie weiss viel über die KünstlerInnen, kennt die meisten auch persönlich.

Heute zeichnen sich die zeitgenössischen Werke durch eine gestalterische Vielfalt aus. Moderne Ansätze haben sich durchgesetzt. Die Scherenschnitte sind farbig, asymmetrisch und teilweise collageartig gestaltet.

Ein Selbstversuch

Um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, öffnen Scherenschnitt-KünstlerInnen ihre Werkstätten und bieten Workshops an. So auch  die Marianne Dubuis in Chateau d’Oex. Sie ist weitherum für ihre exklusiven Découpage bekannt. Die Motive findet sie in der Umgebung, im Alltag. In Gedanken fügt sie diese Motive zu einem Bild zusammen. Ist ein Entwurf stimmig, beginnt sie mit der Umsetzung. Die so gefertigten Kunstwerke tragen ihre persönliche Handschrift.

Auf dem grossen Tisch im Wohnzimmer von Marianne Dubuis liegen eine winzige, spitzige Schere, ein Cutter und eine Vorlage bereit. Eine Kuh, ein Baum, eine Wiese und zwei Blumen sollen ausgeschnitten werden. Erste Fragen tauchen auf: Cutter oder Schere? Wo beginnen? Was ist weiss, was wird schwarz? Zögernd und konzentriert schneide ich ins Papier, immer darauf bedacht, nicht zu viel wegzuschneiden. Die Künstlerin gibt Tipps, hilft weiter. Ich folge den Linien, versuche den Konturen entlang zu schneiden. Gespannt öffne ich am Ende den Scherenschnitt. Der Baum und die Blumen sind gut gelungen. Der Kuh fehlt leider der Kopf. Ich nehme es gelassen und mit Humor. Marianne Dubuis tröstet: «Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.»

Scherenschnitt-Kunst Workshop
Die Werkzeuge und die Vorlage für den Workshop liegen bereit.

Das Ballonfestival

Château-d’Oex in den Waadtländer Alpen ist die Schweizer Hauptstadt der Heissluftballons. Seit über 40 Jahren starten hier jedes Jahr im Januar hunderte von BallonfahrerInnen aus der ganzen Welt, die durch das aussergewöhnliche Mikroklima und die herrliche Fernsicht auf die Alpen angezogen werden. Über 70 Heissluftballone verschönern jeweils den Himmel über dem Alpendorf. Ein besonderer Höhepunkt ist das «Night Glow», eine Grossaufführung aus Licht und Musik, bei der die Ballone zusammenwirken. Das nächste internationale Ballonfestival in Château-d’Oex findet vom 21. bis zum 29. Januar 2023 statt.

Von Château-d’Oex aus startete Bertrand Piccard 1999 zu seiner Ballon-Rekordfahrt um die ganze Welt und legte in nur 19 Tagen Non-Stopp 45’755 Kilometer zurück. Und auch ein Museum widmet sich dem Thema Ballonfahren: Espace Ballon befindet sich im ehemaligen Rathaus im Dorfzentrum. Im ersten Stock werden mit hochwertigem Multimediamaterial alle Aspekte der Heissluftballons präsentiert und die BesucherInnen zu einer spannenden Reise in diese faszinierende Welt entführt.

www.alpesvaudoises.ch

www.musee-chateau-doex.ch

www.espace-ballon.ch

www.myvaud.ch

Text und Bilder: Esther Wyss