Intelligente Stoffe
Früher war die Stadt St.Gallen für ihre Leinwände, später für ihre Spitzen bekannt. Heute schreibt das Forschungsinstitut Empa die Textilgeschichte weiter.
Früher war die Stadt St.Gallen für ihre Leinwände, später für ihre Spitzen bekannt. Heute schreibt das Forschungsinstitut Empa die Textilgeschichte weiter.
Benno Wüst sagt: «‹Geht nicht› gibt es bei mir nicht.» Der Kunststofftechnologe und Maschinenbauer arbeitet seit dreissig Jahren beim Forschungsinstitut Empa in St.Gallen. Und ist nach wie vor begeistert: «Meine Arbeit besteht aus Spielen und Basteln.»
Mit systematischem Ausprobieren und Weiterentwickeln von Ideen sucht Benno Wüst nach neuen Materialien; oftmals in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen. Diese bringen auch selber Forschungsansätze ein. «Oder wir entwickeln zusammen neue Ideen», sagt Benno Wüst.
Neun von zehn Versuchen, die Benno Wüst durchführt, «gehen in die Hose», wie er sagt. «Diese Fehler nutzen wir, um etwas Neues herauszufinden – auch die Fehlschläge bringen uns weiter.» Im Labor der Empa wird mit Fasern und Textilien gearbeitet, die es sonst nicht gibt. «Wir entwickeln sie selber», sagt Benno Wüst. Die Maschine, welche aus Granulat eine Faser spinnt, hat er selber zusammengebaut.
Um einen neuartigen Kunstrasen zu produzieren, der weich ist, niemanden verletzt und dessen Halme sich wie beim richtigen Rasen wieder aufrichten, wenn jemand darüber gelaufen ist, pröbelten die Empa-Forschenden fünf Jahre lang. «Die zündende Idee hatte ein Forscher, als er an einem Wochenende mit seinen Kindern auf einem Naturrasen war», sagt Benno Wüst: Grashalme sind hohl – dadurch sind sie stabiler und können sich stark biegen, ohne zu brechen. Darum haben nun auch die Halme des neuen Kunstrasens eine Kern-Mantel-Struktur. Durch diese Biegsamkeit muss der Rasen auch nicht mehr mit Sand oder Granulat verfüllt werden und hat eine sehr lange Lebensdauer. Das Unternehmen Tisca hat den Empa-Kunstrasen inzwischen in seinem Sortiment.
Das Praktische: An der Empa können neue Fasern hergestellt und getestet werden, ohne dass gleich eine riesige industrielle Maschine dafür eingesetzt werden müsste. Und ist einmal eine neue Faser entwickelt, testen sie die Empa-Leute in den Klimakammern: Dort drin werden alle erdenklichen Extremwetterereignisse simuliert und wird untersucht, ob der neue Stoff diese aushält. Am Schluss testen gar Menschen die neuen Materialien unter erschwerten Bedingungen in den Kabinen. Dabei hat sich auch schon gezeigt, dass die neue Unterwäsche für Feuerwehrleute zwar feuerbeständig ist – aber wenig hautfreundlich.
In den Labors der Empa versuchen die Forscherinnen und Forscher unzählige Ideen umzusetzen. «Wir stellen funktionsfähige Prototypen her», sagt Urs Bünter vom Kommunikationsteam der Empa. «Dann ist es an den Unternehmen, den Prototypen so weiter zu entwickeln, dass ein marktfähiges Produkt daraus wird.» Die Forschenden arbeiten an Fasern, welche Medikamente direkt an den Körper abgeben können, oder an neuartigen Materialien für Herzpumpen. Einige Resultate der Empa-Forschung haben sofort AbnehmerInnen gefunden: Metallene und vergoldete Fäden, wasserabweisende Stoffe, Fasern, die im Dunkeln leuchten – die Modeindustrie hat diese Produkte aufgenommen und verarbeitet. Auch antibakterielle Wäsche gibt es heute auf dem Markt.
Die neuen Garne können aber auch den Medizinalbereich verändern: So haben Forschende der Empa textilbasierte Elektroden für Elektrokardiogramme und Elektrostimulationstherapien entwickelt. Diese Elektroden sind viel hautschonender als die herkömmliche Gel-Elektrode, welche vor rund 60 Jahren entwickelt worden ist und nach wie vor genutzt wird. Vor allem, wenn die Elektroden über längere Zeit getragen werden müssen, ist die Hautfreundlichkeit ein grosser Vorteil. Das Spin-off «Nahtlos» will nun den Markteintritt der neuen Elektroden vorantreiben.
Andere Umsetzungen der Empa haben den Weg in die Industrie jedoch noch nicht gefunden – «auch wenn sie eigentlich ein enormes Potenzial haben», wie Martin Camenzind, Elektroingenieur und Sensor Scientist an der Empa, sagt. Da gibt es den Wundverband, der erkennt, ob sich eine Wunde entzündet oder gut heilt. Oder das T-Shirt, das die Sauerstoffsättigung messen kann. Aber auch der Stoff, der Druckstellen erkennt. Und nicht zuletzt den Babystrampler, der Gelbsucht bei Frühgeborenen feststellt und blaues Licht zur Therapie abgibt. All diese Erfindungen und Entwicklungen sind bisher nicht über den Stand eines Prototyps hinausgekommen. «Im Medizinalbereich wechselt man nicht so rasch zur nächsten Technologie, denn die Umstellung ist meist teuer», sagt Martin Camenzind. «Auch ist es aufwändig, für eine neue Technologie eine Zulassung zu erhalten.»
Zwei Mal im Jahr organisiert die Forschungsanstalt in St.Gallen einen runden Tisch mit Textilunternehmen, genannt Subitex: Im Innovationsnetzwerk für die Schweizer Textilindustrie machen sich Forschung und Industrie gemeinsam auf die Suche nach neuen Ansätzen, um die textile Nachhaltigkeit zu fördern. «Da arbeiten auch Konkurrenten miteinander statt gegeneinander», sagt Urs Bünter. «Das macht die Schweizer Textilindustrie stärker.»