Der Scheue mit der Maske
Er erinnert mit seiner Fellzeichnung im Gesicht an Zorro, vollbringt aber viele seiner Heldentaten im Untergrund. Im Frühling zieht es den Dachs dennoch nach draussen.

Er erinnert mit seiner Fellzeichnung im Gesicht an Zorro, vollbringt aber viele seiner Heldentaten im Untergrund. Im Frühling zieht es den Dachs dennoch nach draussen.
Nachdenklich und ruhig soll Meister Grimbart sein – so steht es zumindest im Märchen. Ob der Dachs wirklich so tickt, ist allerdings schwierig festzustellen. Meles meles, wie die Marderart im Wissenschaftsjargon heisst, ist nämlich äusserst scheu und nachtaktiv. Dieser Tage stehen die Chancen immerhin etwas besser, das Raubtier zu sehen. Denn erstens hat der bis zu 17 Kilogramm schwere Brummer während der Winterruhe seine Fettreserven aufgebraucht und geht nun vermehrt wieder auf Nahrungssuche. Zweitens macht es der Dachs wie der Mensch und nutzt die wärmeren Tage für einen Frühjahrsputz: Zur Polsterung des Baus werden frische Blätter und Gras geholt – und davon braucht es einiges, ist die Wohnung doch alles andere als klein.
Die kräftigen Krallen an den Vorderläufen verraten es bereits: Der Dachs ist ein Spezialist im Graben. Das hilft dem Allesfresser nicht nur beim Aufstöbern seiner Leibspeise, den Regenwürmern im Boden. Mit seiner langen Schnauze und den Füssen buddelt das Tier auch gewaltige Baue, die einen Durchmesser von 30 Metern oder mehr erreichen und in denen es über die Hälfte seines Lebens verbringt. Im Labyrinth von Gängen lebt Grimbart indes nicht allein. Der Röhrenkomplex wird oft von ganzen Familien genutzt und von Generation zu Generation weitergegeben, sodass einige Baue jahrhundertelang bewohnt bleiben. Nicht selten ziehen zwischendurch sogar Füchse zur Untermiete in das Höhlensystem ein.
Aber eben, nach den winterlichen Wochen im Bau schlottert dem sonst so pummeligen Dachs das Fell um die Rippen. Ausserdem kommt im Frühjahr meist der Nachwuchs zur Welt, und der ist erst recht hungrig. Gut, ist der Tisch draussen längst nicht nur mit Regenwürmern gedeckt. Im Vergleich zu anderen Marderarten ist die europäische Art schliesslich ein Allesfresser: Beeren, Nüsse, Insekten, Schnecken und Vögel werden gleichermassen verspeist. Für die Nahrungssuche begibt sich das bis zu 88 Zentimeter lange Tier dann auch mal auf offene Flächen, während die Höhlen doch eher in Laub- und Mischwäldern oder Hecken am Hang zu finden sind. Da er mit der rüsselartigen Schnauze Gärten oder Felder regelrecht umpflügen kann bei der Nahrungssuche, ist der Gast beim Menschen nicht immer gern gesehen.
Sei es, weil er in Rebbergen zu viele Trauben naschte, weil man sein schwarz-weisses Fell begehrte oder weil er Massnahmen gegen die Tollwut zum Opfer fiel: Im 19. Jahrhundert wurde der Meles meles hierzulande beinahe ausgerottet. Seither hat sich die Population jedoch erholt, und Grimbart ist mittlerweile nicht nur in Höhen bis 2000 Meter wieder verbreitet, sondern auch in urbanen Gebieten unterwegs. Denn gerade in Parkanlagen, auf Friedhöfen oder in Badeanstalten locken weite Grünflächen mit zahlreichen Engerlingen und Würmern. Sollte er dort nach Nahrung wühlen, sollte man es ihm verzeihen – er ist halt einfach ein Frechdachs.