Schweizer Uhren prägten über Jahrzehnte das Image der Schweiz: Präzision, Innovation, Reichtum. Die Entwicklung der Uhrenindustrie – damals und heute – war wirtschaftlich bestimmend für Tausende Menschen.

Schon immer prägte der Tageslauf, die Zeit, das Leben der Menschen. Sie wollten sie messen können. Bereits vor Jahrtausenden nutzten sie Sonnenuhren. Die Bewegungen eines Pendels soll eine sehr alte Art der Zeitmessung sein. Als erste mechanische Uhr gilt ein im 13. Jahrhundert in Paris entwickeltes Gerät. Die Ururgrossmutter der heute im Jura produzierten Uhren der Luxusklasse.

Technikgeschichte
Wunderwerke der Feinmechanik kann man in Sainte-Croix bewundern. Die Lust am Tüfteln wurde dort über Jahrhunderte perfektioniert. Hier wurden Uhren und Musikautomaten entwickelt und gebaut. Davon erzählen die Museen in und um Sainte-Croix: Das Centre International de Mécanique d’Art (CIMA), das Atelier du Docteur Wyss und das Musée Baud. Bei den aktuellen Umweltproblemen schiebt man oft der Technik den Schwarzen Peter zu.
Falsch – verursachend ist die verantwortungslose Anwendung von Technik durch Menschen. Technik ist nicht per se schlecht. Sie kann auch faszinieren und Freude bereiten. Dies bezeugen Uhren und Musikautomaten. Im 15. Jahrhunderte besass man in reicheren Häusern Standuhren – damals schon Uhren als Statussymbol. Mit dem Aufkommen von tragbaren Zeitmessern ab 1650 liessen sich erste Uhrmacher in der heutigen Schweiz nieder. Parallel zu den Uhrwerken zeigte sich die Freude am Tüfteln auch in der Entwicklung von Spieldosen und Musikautomaten.

Wunder der Mechanik
Beginnend mit Glockenspielen im Mittelalter führte die Entwicklung über Spieluhren und Spieldosen, Musikautomaten, mechanische Singvögel, Jahrmarktsorgeln und Orchestrien schliesslich in die heutige elektronische Musikindustrie. Im Centre International de Mécanique darf (CIMA) kann man diese Entwicklung sehen und hören (musees.ch). Bald wurden in die Musikdosen Zusatzinstrumente eingebaut, beispielsweise ein Glockenwerk. Erfolgreich war auch die Kombination mit der Technik der Flötenuhren, mit einer kleinen Orgel. Dazu war ein spezielles Gebläse nötig. Ein Beispiel für einfache Flötenuhren sind die Kuckucksuhren. Namhafte Komponisten haben für Spieldosen und Flötenuhren komponiert: Beethoven, Mozart, Salieri, Bach, Haydn und Händel. Das Museum Baud in L’Auberson zeigt ähnliche Exponate wie das CIMA. Erstaunlich sind Automaten, die in Form von Menschen Bewegungen ausführen – eine Vorstufe von Robotern. So schreibt ein Pierrot seiner Geliebten einen Brief. Oder ein Mann lockt mit Gesten, Lächeln und Augenrollen Gäste in ein Restaurant (museebaud.ch).

Rolle von Flüchtlingen
Am Erfolg der Uhrenindustrie hatten auch religiöse Flüchtlinge ihren Anteil. Hugenotten, die ab 1550 in die Schweiz kamen, brachten grosses Fachwissen mit. Vor allem im Kanton Bern wurden die Täufer, später Mennoniten, brutal verfolgt. Viele siedelten sich im Jura an, da der Fürstbischof von Basel ihnen nach der Vertreibung aus dem Emmental die Ansiedlung in Regionen auf über 1000 Metern gestattete. La-Chaux-de–Fonds beispielsweise liegt auf einer Höhe von rund 1000 Meter über Meer. Uhren waren oft wertvolle Schmuckstücke, ein Aspekt war die Technik, ein anderer die aufwändige Gestaltung durch Silber- und Goldschmiede. Am Aufschwung und der Modernisierung der Uhrenindustrie im Jura und vor allem in La Chaux-de-Fonds hatten zudem jüdische, aus dem Elsass zugewanderte Uhrenfabrikanten einen massgeblichen Anteil.

Krisen der Uhrenindustrie
Uhrmacher stellten vorerst Uhrwerk und Gehäuse selbst her und montierten sie zum fertigen Produkt. Später wurde der Herstellungsprozess in einzelne Arbeitsschritte aufgeteilt, die von spezialisierten Handwerkern in Heimarbeit ausgeführt wurden. Ein Verleger verteilte Aufgaben und Material, sammelte die Einzelteile wieder ein und liess sie in seinem Atelier zusammenfügen. Händler vermarkteten die fertigen Uhren im In- und Ausland. So erreichte man eine höhere Produktivität. Auf die langanhaltende vorindustrielle, hauptsächlich auf Heimarbeit beruhende Wachstumsphase folgte in den 1870er und 1880er Jahren eine Übergangszeit, bevor die Industrialisierung der Uhrenindustrie einen Wachstumsschub auslöste.

Ende des 19. Jahrhunderts führte die Umgestaltung des Produktionsprozesses in der Uhrenindustrie zu Veränderungen der regionalen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen. Die Serienproduktion von billigen Uhren in den USA zwang die Schweizer Uhrenindustrie, von der Handarbeit zur industriellen Produktion überzugehen. Der Vorsprung der USA in der «Laufbahn-Produktion» führte fast zum Zusammenbruch der Schweizer Uhrenindustrie. Diese Entwicklungen kann man im Uhrenmuseum Espace Horloger in Le Sentier und im Musée international d’horlogerie und dem Uhrenpfad in La Chaux-de-Fonds nachvollziehen (espacehorloger.ch, chaux-de-fonds.ch/musees/mih).

Uhrenmacher und Architektur
Im 20. Jahrhundert arbeiteten rund 90 Prozent der in der Uhrenindustrie Beschäftigten im Jurabogen. Man erkennt die Häuser von Uhrmachern im Jura daran, dass im obersten Stock viele Fenster darauf hinweisen, dass dort in Ateliers gearbeitet wurden. Von der Uhrmacherstadt La Chaux-de-Fonds weiss man, dass sie eine Reissbrettstadt ist, deren Strassen parallel und rechtwinklig verlaufen. Gründe: Brandprofilaxe und die gleichmässige Verfügbarkeit von Tageslicht in allen Werkstätten. Die Architektur in der Stadt La Chaux-de-Fonds ist also direkt verbunden mit der Uhrmacherei. Die Häuser wurden für eine gemischte Nutzung von Industrie, produzierendem Gewerbe und Wohnungen gebaut. Die Stadt war schon früh durch die Einflüsse der Uhrenindustrie und des Uhrenhandels urban und weltoffen.

1887 wurde Charles-Édouard Jeanneret-Gris geboren – als Sohn eines Emaillierers von Zifferblättern mit eigener Werkstatt in La Chaux-de-Fonds. Bereits 1867 unterschied man in La Chaux-de-Fonds 54 verschiedene Uhrmacherberufe. Auch Jeanneret wählte einen Beruf in der Uhrenindustrie. Er begann 1900 eine Ausbildung zum Graveur und Ziseleur an der Kunstgewerbeschule, wechselte dann aber zur Architektur. Heute ist er unter dem Namen Le Corbusier bekannt.

Zeugen der Zeit
Als während der Quarzkrise in den 1970er Jahren schweizweit zwei Drittel der Uhrenarbeitsplätze verloren ging, wurden Werkzeuge und Maschinen verschrottet. Der Arzt Jürg Wyss eröffnete 1977 seine Allgemeinpraxis in Sainte-Croix und bekam die Auswirkungen der Krise hautnah mit. Er erkannte den Wert dieser Zeitzeugen und sammelte Dokumente, Maschinen und Werkzeuge von Uhrmachern und Herstellern von Musikautomaten. Er mietete Räume, um dort Werkstätten wieder aufzubauen, um sie der Nachwelt zu erhalten. Bei Führungen erlebt man, wie die teils über hundertjährigen Maschinen funktionieren. Besucher erhalten Einblick in den Mechanismus der Spieldose und ihre historische Entwicklung.

Einerseits wurden Zeitzeugen der alten Uhrmacherei gerettet, anderseits brauchte es innovative Köpfe, die der fast brachliegenden Uhrenindustrie den Weg in die Zukunft ermöglichte. Dieses Wunder vollbrachte die Produktion von kostengünstigen Uhren aus Plastik, wofür vor allem ein Name steht: Swatch. Und die Spezialisierung auf komplexe Luxusuhren.

Perspektiven für die Uhrenindustrie
Auf einer Reise durch die Welt der Uhren im Jura kann man sich an verschiedenen Orten intensiv mit der Geschichte der Uhrmacherei in der Schweiz auseinander. Bleibt die Frage: Wie weiter? Heute ist Schweiz ist wertmässig das grösste Uhrenexportland der Welt, gefolgt von Hongkong und China. Mit anderen Worten: Die Schweiz exportiert vor allem wertvolle, technisch komplexe Luxusuhren.

Informativ sind Besuche bei den Luxusuhren-Hersteller Audemars Piguet in Le Brassus und Longines in Saint-Imier. Beide Unternehmen empfangen Gäste für Führungen in ihren Museen (museeatelier-audemarspiguet.com, longines.com).

Die Geschichte der Marke Longines begann 1832 mit einem Uhrenkontor, wo Uhren in Heimarbeit gefertigt wurden. Faszinierend sind Exponate wie Uhrenmodelle, Navigationsinstrumente, Chronometer, Fotografien, Plakate, Filme, Auszeichnungen und Archivaufzeichnungen, die von der Geschichte der Fliegerei und des Spitzensports erzählen. «Elegance is an Attitude» bringt die Philosophie der Marke auf den Punkt – und erklärt ihre Marktpositionierung.

Die Geschichte von Audemars Piguet begann 1875 im Vallée de Joux. Heute besuchen Interessierte das Museum nicht nur wegen der Uhren, sondern auch wegen seiner einzigartigen Architektur in Spiralform. Prägend für das Unternehmen war die Produktion von Edelstahl-Uhren. Zum ersten Mal wurde Stahl in den gleichen Stand erhoben wie Gold. Audemars Piguet setzt auf die Kombination von Avantgarde und Tradition, auf Luxusuhren in Verbindung mit Kunst, Golf und Musik.

Wer im Jura der Geschichte der Uhren nachreist, wird sich bewusst, dass es innovative Köpfe mit technischer und unternehmerischer Begabung waren, welche die Bedeutung der Uhrenindustrie begründeten, am Leben erhielten und ihnen heute den Weg in die Zukunft ebnen.

Regula Zellweger

j3l.ch