Hans Pieren im grossen Interview
Er ist «Mister Schnee». Seit 28 Jahren ist der ehemalige Skirennfahrer Hans Pieren Pistenchef der Weltcup-Rennen in Adelboden. Jetzt tritt er zurück.
Er ist «Mister Schnee». Seit 28 Jahren ist der ehemalige Skirennfahrer Hans Pieren Pistenchef der Weltcup-Rennen in Adelboden. Jetzt tritt er zurück.
Er ist «Mister Schnee». Seit 28 Jahren ist der ehemalige Skirennfahrer Hans Pieren Pistenchef der Weltcup-Rennen in Adelboden. Jetzt tritt er zurück.
Sie sagten einmal, Schnee ist eines der perfidesten Elemente, das es gebe. Weshalb?
Schnee ist gefrorenes Wasser. Diese Eiskristalle gibt es in allen möglichen Formen und verändert sich permanent. Wenn es beispielsweise in der Nacht -12 Grad kalt wird, ist der Schnee anders als bei Tag in der direkter Sonne. Ja nach Hang und Exponierung verändert sich der Schnee blitzartig, die Feuchtigkeit, die Konsistenz. Schnee ist permanent in der Umwandlung. Hier ist ein Skifahrer gefordert, denn der Ski reagiert anders. Mich nervt es, wenn Rennfahrer oder Trainer sagen, eine Piste müsse von oben bis unten gleich präpariert sein. Wenn ich beim Start 1000 Liter Wasser in den Schnee gebe – soll ich demnach dasselbe im Ziel machen, obwohl es dort allenfalls gar geregnet hat? Das ist absurd.
Aber Wasser fügen Sie überall hinzu?
Natürlich, auf der ganzen Piste. Wir versuchen, die Piste so gleichmässig wie möglich zu gestalten. Im Endeffekt befiehlt jedoch das Wetter, ob eine Piste gut, mittelmässig oder schlecht präpariert ist. Die Crux ist das Knowhow und das Timing. Ein guter Wetterbericht ist für diese Einschätzung essentiell.
Gerade in Adelboden sind die Wetterverhältnisse oft speziell. Welchen Einfluss hat dies?
Man muss auf alle Eventualitäten kurzfristig vorbereitet sein und wissen, was zu tun ist. Als Pistenchef und als Rennleiter muss man einerseits langfristig planen, aber andererseits kurzfristig reagieren können. Doch der Renntermin ist fix – und da muss man in jeder Situation bereit sein das Beste herausholen.
Sie sind am Fusse des Chuenisbärgli aufgewachsen. Wird einem da die Liebe zum Skifahren in die Wiege gelegt?
Ich denke schon – man ist prädestiniert dafür, wenn man jeden Tag den Skilift vom Haus aus sieht. Zudem war mein Vater Skilehrer. Ich sage immer, ich war im Kindergarten schon ein Halbprofi (lacht). Egal bei welchen Wetterverhältnissen – ich musste raus in die Natur, sonst wurde ich «uliidig». Der Kindergarten langweilte mich grausam. Irgendwann hatte ich meine Mutter soweit, dass ich nur noch im Sommer den Kindergarten besuchen musste und im Winter Skifahren durfte.
Und tatsächlich wurden Sie Rennfahrer, rangierten zeitweise hinter der Legende Alberto Tomba als Zweiter auf der Liste des Riesenslalom-Weltcups.
Ja, 1980 bekam ich zum ersten Mal Kleider von Swiss Ski. Anschliessend kam ich in die B-Nationalmannschaft, 1982 fuhr ich meinen ersten Weltcup-Riesenslalom hier in Adelboden. Von da an setzte ich voll auf die Karte Ski.
Wie nahmen Sie den Ski-Zirkus damals wahr?
Der Weltcup hatte stets einen grossen Stellenwert – und wurde immer auch kontrovers diskutiert. Damals waren die Fahrer sicher weniger heikel als heute. Solch wellige Pisten, wie wir sie fuhren, wären heute undenkbar. Während meiner ersten Weltcupsaison wurden auch erst die Kippstangen eingeführt, wie man sie heute kennt. Früher waren sie aus Holz oder Bambus, brachen teilweise während dem Rennen auseinander und flogen reihenweise raus, worauf es jeweils zahlreiche manchmal längere Unterbrüche gab.
Die Konkurrenz im Schweizer Team war damals enorm.
Absolut – wir waren die Nummer Eins in der Nationenwertung. Bei mir kam der Durchbruch lange nicht wie gewünscht. Dies waren die goldenen Zeiten des Schweizer Skisports – und als vierter oder fünfter Fahrer im Riesenslalom hattest du eigentlich nichts zu melden. Ich erinnere mich an eine Schlagzeile, als ich mit 19 Jahren in Adelboden 15. wurde: «Pieren, der Spätzünder». Ich war 19 Jahre alt… Die Messlatte war damals immens hoch – höher als heute.
Sie haben Ihre Skis zu aktiven Zeiten selber präpariert. Zuerst aber nicht ganz freiwillig, oder?
Stimmt. Bei Atomic funktionierten die Skis bei mir nicht mehr, wie sie sollten. Ich wollte Skis, die an der Spitze härter sind. Trotz meiner mehrmaligen Intervention, wollte der Rennsportleiter von Atomic diese Anpassung für meine Skis nicht machen lassen. Ein befreundeter Schreiner montierte darauf auf der Spitze ein Teil des Deckblattes eines anderen Skis desselben Modells. Und mit diesem Ski wurde ich im Weltcupfinal Siebter. Ich sagte niemandem etwas, aber für die Serviceleute war es ja offensichtlich (lacht). Mit Atomic lief es nicht mehr, ich wechselte mit 31 Jahren zu Rossignol – und präparierte alsdann meine Skis selber.
Apropos Material: Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Material und Talent im heutigen Skizirkus gewichten? Und wie hat sich dies gegenüber früher verändert?
Die Definition von Talent ist beinahe eine philosophische Frage. Im Volksmund definiert man es so: Etwas schneller und mit weniger Aufwand gut zu können als jemand anderes. Talent ist auch der Durchhaltewille, um hart zu trainieren sowie das Gespür, um zu erkennen, wie und wie oft man trainieren muss, wann man auch Pausen benötigt. Talent ist jedoch auch das Gespür, herauszufinden, was man individuell benötigt, um gute Leistungen zu liefern – auch in Bezug auf das Material. Schlussendlich ist Talent ein Türöffner, aber nicht der Weg zum Erfolg. Ausschliesslich mit Talent gibt es keinen Erfolg, sondern mit harter Arbeit und dem richtigen Material, welches schon immer wichtig war, aber heute vielleicht noch ein wenig wichtiger – da auch die Pisten professioneller präpariert sind.
Der Zielhang des Chuenisbärglis gehört für die Rennfahrer zu den schwierigsten Pisten überhaupt –auch für die Pistenmacher?
Das ist so. Grundsätzlich ist der Start- und Zielhang etwa gleich steil – allerdings gibt es im Zielhang, je nach Tageszeit, zusätzlich noch Schatten-/Lichtwechsel, die riesige Publikumskulisse, und die Fahrer sind müde, haben bereits 40 Tore in den Beinen. Auch zum Präparieren sind diese Steilhänge schwierig. Das Pistenfahrzeug verdichtet den Schnee im Flachen natürlich viel mehr als im Steilen. Zudem kann es nicht 20mal hinauf- und hinunterfahren, sonst drehen die Raupen durch, zerstören alles und das Pistenfahrzeug bleibt stecken. Solch ein Hang braucht mehr Zeit und Pflege.
Der Zustand der Piste spielt nicht nur für die Fairness eine grosse Rolle, sondern er stellt auch ein Sicherheitskriterium dar. Gilt es dabei, das Spektakel einerseits und die Sicherheit der Athleten andererseits abzuwägen?
Als Organisator brauche ich Durchführungssicherheit. Je mehr gefrorenes Wasser im Schnee ist, desto besser ist die Piste in Sachen Fairness, Sicherheit für den Athleten sowie betreffend Durchführungssicherheit. Als Skifahrer mit runden Kanten oder als Zuschauer spricht man rasch von einer eisigen Piste. Eis hat ein spezifisches Gewicht von 918 kg Kubikmeter. Wenn es sich um eine äusserst harte Piste handelt, fahren wir hier mit rund 750 kg pro Kubikmeter – also weit entfernt von Eis. Je härter und glatter die Piste, und umso mehr der Fahrer rutscht, desto weniger gefährlich ist die Piste für die Knie der Rennfahrer. Kreuzbandverletzungen führen primär von der Landung bei Sprüngen her sowie wenn es den Ski verschneidet – z.B. beim Slalom und Riesenslalom. Das heisst: Eine gute Piste dient allen – den Organisatoren, den Rennfahrern sowie dem Publikum.
Wieso spricht man denn oft von gefährlich präparierten Pisten?
Die Wahrnehmung der Fahrer ist teilweise sehr tendenziös. Wir haben hier in Adelboden viele Naturwellen im Boden. Vor einigen Jahren hatten viele Fahrer diesbezüglich Angst und wollten, dass diese Wellen geglättet werden. Ich sagte immer: Wir machen alles, was die FIS sagt. Aber das mache ich nicht! Ich wies den Pistenfahrer an, beim Schneeverteilen nicht alles zu ebnen, sondern natürlich, dem Gelände entsprechend. Es dauerte zwei, drei Jahre – und plötzlich hiess es: Adelboden ist so ein tolles Rennen. Weil es eben keine Autobahn ist. Gewisse Pistenchefs in Österreich spüren sich nicht mehr, machen die Piste übermässig giftig. Dies ist nicht mein Ziel. Manchmal ist weniger mehr.
Sie sind ein Meister im Salzen von Pisten. Wie und weshalb wird überhaupt Salz eingesetzt?
Salz geht unter die Rubrik «Schneehärter». Das Komplexe daran: Auf der Strasse braucht man es, um Schnee zu schmelzen. Auf der Piste benötigt man Schnee, Wasser und Salzkörner, um bei zu warmem Wetter die perfekte Piste herstellen zu können oder ein Rennwochenende zu retten. Die Kunst am Salzen ist, die richtige Menge zu streuen – nicht zu viel, nicht zu wenig – und vor allem gleichmässig. Denn jedes Salzkorn hat einen Wirkungskreis im Schnee. Nimmt man zu viel, erzeugt man den gegenteiligen Effekt. Anstatt zu gefrieren, erzeugt man so nur den Schmelzeffekt und der Schnee wird mehlig ohne zu binden. Salz ist aber nur ein «Notnagel» aufgrund zu hoher Temperaturen.
Sie haben bei den Olympischen Spielen in Sotchi 2014 rund 20 Tonnen Salz einfliegen lassen. Können Sie uns die Umstände erläutern?
Ja, ich arbeitete damals für die FIS und war auf den Herrenpisten in Sotchi beschäftigt. Man kontaktierte mich abends um 10 Uhr und bat um meine Hilfe – ansonsten könne der Halfpipe- Anlass am kommenden Tag nicht stattfinden, – wo dann ja Iouri Podladtchikov Gold gewann. Mein Chef teilte mir mit, ich könne schon versuchen die Halfpipe zu retten, wenn dies mein Wunsch sei – es sei ebenfalls eine FIS-Disziplin, aber nicht meine Aufgabe. Also stand ich am nächsten Morgen um acht Uhr mit drei Winden-Pistenfahrzeugen dort, liess den lockeren Schnee damit rausstossen und streute mein Salz – es wirkte, der Wettkampf fand unter fairen Verhältnissen statt. Bei diesen warmen Temperaturen wurden die Pisten überall weich. Woraufhin ich noch in der Snowboard-Halfpipe, bei der Damen und Herren Langlauf-Staffel, bei allen Snowboardrennen, bei Ski- und Bordercross sowie auf den alpinen Rennpisten gesalzen habe. Ich brauchte das richtige Salz mit den richtigen Körnern und flog sie mit einer grossen Spezialaktion bei Nacht und Nebel aus der Schweiz ein. Denn die Salzkörner vor Ort waren zu fein, diese taugten nichts.
Die Visionen des Verbands sind ja das eine – aber wie sehen Sie als Macher persönlich die Zukunft der Skirennen? Wie kann diese Faszination aufrechterhalten und weiterentwickelt werden?
Verschiedene Kreise sprechen von «Weiterentwickeln» – ich bin mir nicht sicher, ob sie dies korrekt wahrnehmen. In den technischen Disziplinen und betreffend Einschaltquoten stimmt es, wie es jetzt ist – der letzte Slalom von Adelboden erzielte im laufenden Jahr die höchste Einschaltquote aller Sportsendungen von SRF. Slalom und Riesenslalom stimmen aus meiner Sicht – aber der Super G ist fraglich. Der Parallelslalom wäre eine gute Disziplin mit Potential, dort bräuchte es einen Feinschliff im Reglement. Die alpine Kombination ist eigentlich auch nicht uninteressant – würden die Fahrer, Trainer und Insider sie nicht stets schlechtreden.
Hat der Klimawandel und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit künftig vermehrt einen Einfluss? Per Reglement muss ja auf jeder Weltcuppiste von Start bis Ziel beschneit werden.
Nun ja, dies ist bei allen Sportarten der Fall. Im Skisport wird der technische Schnee ja nicht mit Chemikalien versehen – zumindest nicht in der Schweiz. Im Ausland wird teilweise mit genmanipulierten Maispartikeln gearbeitet. Aber auch dies ist nicht wirklich schädlich. Und betreffend Wasserverbrauch – dieses wird am Berg einfach zwischengelagert. Und verschmutzt ist das Wasser deshalb nicht. Klar, man braucht Strom – welcher zum Teil in den Bergen per Wasserkraft hergestellt wird. Deshalb habe ich keine Gewissensbisse. Und wenn der Klimawandel zunimmt – dann fährt man halt auf gewissen Höhen schlicht und einfach nicht mehr Ski.
Die Olympischen Spiele in Pyeongchang wurden ebenfalls massiv kritisiert – es wurden Wälder gerodet, Hänge umgebaggert, Millionen verbuttert. Hatten Sie kein Problem damit?
Die Abfahrt in Pyeongchang war tatsächlich ein Thema. Wenn man eine Piste oder ein Stadion für Olympia nur baut, um es anschliessend verkümmern zu lassen, ist das für mich definitiv ein No-go. Betreffend Waldrodungen in China: Was haben denn wir früher gemacht? Da müssen wir schon ehrlich sein. Wenn solch ein Skigebiet gefragt und ökologisch vertretbar ist und dann auch genutzt wird, habe ich kein Problem damit.
Die Weltccup-Rennen in Adelboden gingen soeben über die Bühne, und nun werden Sie Ihre Laufbahn beenden. Nach 28 Jahren als Rennleiter fällt es schwer, die Adelbodner- Rennen ohne Sie vorzustellen. Können Sie
loslassen?
Ich denke schon, schliesslich ist dies ja meine freie Entscheidung. Das nächste Rennen 2023 werde ich auf dem Papier mithelfen zu organisieren und die künftige Leitung bei Fragen unterstützen – aber auf der Piste wird man mich dann nicht mehr antreffen. Fragt man mich an, kann ich mit meinen Kontakten natürlich immer gerne helfen. Aber sicher nicht mehr operativ; ich bin ja auch noch im Verwaltungsrat, habe aber vor, demnächst dies auch noch zu beenden. Es ist ein bewusstes Loslassen.