Leise knirschen die Eiskristalle unter den dicken Schuhsohlen. Ansonsten dämpft die Schneedecke alle Geräusche, sodass man sich in einer Stille bewegt, wie sie einem sonst nur selten begegnet. Auch die Augen sind im Ausnahmemodus: Gerade noch klebte der Nebel zäh an den Tannen und Felsen. Nun bricht plötzlich die Sonne durch und scheint auf die weisse Pracht, womit es rundum sofort zu glitzern und zu funkeln beginnt. Weit schweift das Auge jetzt von überzuckerten Wäldern und Weiden bis zum Alpenpanorama in der Höhe. In der Ferne zeichnet sich derweil bereits das von Wind und Wetter gezeichnete Chalet ab, wo einen ein Cheminéefeuer und eine heisse Schokolade erwarten – wer den pinken Wegweisern der Winterwanderwege folgt, hat gute Aussichten.

Zunahme seit 2013

Es sind solche ruhigen Erlebnisse in der Natur, welche den Reiz von Spaziergängen in der kalten Jahreszeit ausmachen. Der Mensch braust in diesen Momenten eben nicht auf Skiern durch die Gegend, sondern kann sich Zeit nehmen für den Weg, für die Bergnatur und für sich selbst. Wie beliebt Fusswege hierzulande generell sind, zeigt die Studie «Wandern in der Schweiz», welche das Bundesamt für Strassen Astra zusammen mit den Schweizer Wanderwegen herausgegeben hat. «57 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung im Alter ab 15 Jahren zählen Wandern zu den ausgeübten Sport- und Bewegungsaktivitäten. Seit 2013 hat Wandern nochmals stark an Popularität gewonnen», heisst es in der Studie. Dabei seien rund 80 Prozent der Wandernden auch im Winter unterwegs – dieser Wert hat in den letzten Jahren leicht zugelegt. Dabei gibt es jedoch regionale Unterschiede: Derweil Winterwandern besonders bei DeutschschweizerInnen beliebt ist, setzen Welsche öfters auf Schneeschuhe: In der Romandie sind anteilsmässig gut doppelt so viele Personen auf den ausgeschilderten Trails unterwegs.

Wandern als Ergänzung

Während Sommerwandern als beliebteste Outdoor-Aktivität des Landes gilt, fristen Wintertouren derzeit noch eine Art Nischendasein. «Winterwandern ist eher eine Ergänzung zu den klassischen Winterangeboten», sagt Monika Bandi Tanner, Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern. Viele alpine Destinationen würden ihren Hauptfokus auf Aktivitäten wie Skifahren, Langlauf oder Schlitteln legen. Natürlich nützt man das Wandern als Angebot im Sommer. Im Winter sei es dagegen weniger verbreitet, weil es mehr Alternativen gebe. Das zeigt sich auch beim Angebot: Insgesamt sind schweizweit rund 6000 Kilometer an Winterwanderwegen und Schneeschuhrouten signalisiert. Zum Vergleich: Alleine die Berner Wanderwege bieten im Sommer 10’000 Kilometer an Touren an.

La Chaux de Breuleux JU
In der Romandie ist Schneeschuhlaufen beliebter. © Christof Sonderegger

Eine zukunftweisende Aktivität

Gemäss Tourismusforscherin Monika Bandi Tanner wird das Potenzial des alpinen Winterwanderns unterschätzt. Gerade für Familien, denen steile Skiabfahrten zu heftig sind, stellt diese Aktivität eine attraktive Alternative dar. «Das Entschleunigende und das Draussen-Sein sind zukunftweisend», fügt Bandi Tanner an. Denn der Klimawandel setzt die tiefergelegenen Skigebiete zunehmend unter Druck, und nicht alle BesucherInnen können sich mit dem Thema Kunstschnee identifizieren und die geforderten Preise berappen. Winterwandern könnte diese Lücke füllen, wenn sich Regionen neu positionieren. «In Zukunft könnte man das normale Wanderwegnetz vielleicht auch im Winter betreiben und so Kosten sparen. Das bietet eine Möglichkeit, die Besucherströme in der Höhe zu halten und Aktivitäten zu ermöglichen.»

Eine Frage der Frequenz

Das Zukunftweisende des Winterwanderns zeigt sich auch daran, dass es im Vergleich zu anderen Aktivitäten auf sehr wenig Infrastruktur angewiesen ist und damit nachhaltiger und ökologischer wirken kann. Dies hat auch der Bund erkannt. So schreibt das Astra etwa in seinem «Leitfaden für Winterwanderwege», diese signalisierten Routen «kanalisieren die Besucher in sensiblen Gebieten im Sinne eines sanften Tourismus». Monika Bandi Tanner relativiert diesen Punkt allerdings: «Es ist eine Frage der Frequenz. Zwei Winterwanderer am Gantrisch sind in Ordnung, aber bei Tausenden kommt dann auch keine Freude auf.» Diese Massen wären im Sinne der Natur besser auf der Piste aufgehoben. Da Winterwandern extrem witterungsabhängig ist, kann es aber schnell zu solchen Spitzen kommen. Zudem muss man bei den Gästen auch deren Aufenthaltsdauer und den Anreiseweg berücksichtigen – alles Faktoren, welche die nachhaltige Entwicklung tangieren.

Lukrativ für wen?

Ebenso ambivalent präsentiert sich die Situation bei der Wertschöpfung in den Winterdestinationen. Gemäss der Studie «Wandern in der Schweiz» generiert diese Aktivität zwischen 4,4 und 6,3 Millionen bezahlte Logiernächte pro Jahr, während an einem Wandertag durchschnittlich 60 Franken ausgegeben werden. Einheimische und ausländische Wandernde erzielen so zusammen einen geschätzten Jahresumsatz von rund 3,6 Milliarden Franken. «Wandern ist auch für Gutbetuchte salonfähiger geworden», stimmt Bandi Tanner zu. Sie wendet allerdings ein, dass das Angebot Wandern selbst keinen Preis habe; die Effekte gehen alle auf Hotellerie, Gastronomie und Transportwesen zurück. «Die Wertschöpfung beim Wandern selbst ist gleich Null. Daher sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen.» Denn da niemand direkt an diesen Angeboten verdient, gibt es auch Hemmungen, die Winterwanderrouten als eine Art öffentliches Gut bereitzustellen. Oftmals werde diese Aufgabe von den Gemeinden wahrgenommen und auch an Tourismusorganisationen delegiert. «Weil alle profitieren und niemand sich verantwortlich fühlt, ist das Winterwandern bislang eher stiefmütterlich unterwegs», fasst Bandi Tanner zusammen.

Die typischen Wegweiser in Pink. © Schweizer Wanderwege

Hoher Aufwand für Anbieter

Tatsächlich sind die Hürden für neue Winterwanderwege hoch. Zuständig sind die Kantonen, welche die jeweiligen gesetzlichen Anforderungen für die Routen festlegen. Wie aufwändig der Prozess ist, zeigt sich bereits bei der Planung. Hier gilt es zum Beispiel Sicherheits- und Umweltaspekte zu berücksichtigen. Lawinengefährdete Gebiete und exponiertes Gelände sind zu meiden und mit Experten zu analysieren, Schutzgebiete müssen umgangen werden. Ebenfalls im Vorfeld gilt es die verantwortliche Trägerschaft der Route zu definieren und die Linienführung mit Grundeigentümern langfristig zu klären. Sind alle diese Anforderungen erfüllt, kann mit der Signalisation und Präparierung begonnen werden. Diese Arbeiten finden meist in den Nacht- oder Morgenstunden statt. Bestenfalls täglich gilt es die Routen anschliessend zu kontrollieren – gerade nach Stürmen, starken Schneefällen oder bei grossem Besucherandrang ist dies ein wichtiger, aber auch zeitraubender Arbeitsschritt.

Mit Attraktionen verknüpfen

Genügen denn die 6000 Kilometer an Winterwanderwegen und Schneeschuhrouten in der Schweiz, oder muss das Angebot ausgebaut werden? «Bereits 3000 Kilometer reichen, wenn sie gut unterhalten werden», findet Bandi Tanner. Wichtig sei, dass dafür ein Geschäftsmodell bereitstehe und dass die relevanten Informationen zu den Strecken gut kommuniziert würden, damit die jeweiligen Zielgruppen angesprochen werden könnten. Diesen Ansatz verfolgen etwa die Schweizer Wanderwege, indem sie ein digitales Inventar der hiesigen Strecken aufbauen und online anbieten – derzeit sind etwa 260 Routen verfügbar. Wenn man Winterwandern stärker ins Schaufenster stellen will, muss man es zudem vermehrt mit touristischen Angeboten, Attraktionen und Zielen verknüpfen. «Der Weg allein reicht nicht: Die touristische Produktgestaltung hat hier noch Luft nach oben», schliesst Bandi Tanner.

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