Herr Erne, wie können Familien das Dualski-Angebot nutzen?

Die Angehörigen, meist die Eltern, absolvieren zuerst einen zweitägigen Ausbildungskurs. In einem ersten Schritt ist man nur mit Puppen unterwegs und lernt, das Gefährt zu steuern. In einem zweiten Schritt fährt man mit anderen Teilnehmenden im Schlitten und nach diesen zwei Tagen schliesslich mit dem eigenen Kind. Alternativ gibt es sogenannte «Taxifahrten», bei denen Skilehrer mit den Betroffenen einige Abfahrten machen. Es sieht schwierig aus, aber man kann ein Gefühl dafür entwickeln. Wenn man den Dreh mal raushat, ist man quasi eins mit dem Gerät und kommt in einen «Flow», was dann wunderschön sein kann. Und wenn man vielleicht einen Passagier hat, der trotz Beeinträchtigung auch ein wenig mithelfen kann, ist das dann richtiges Teamwork zwischen den Skilehrern als Piloten oder den Eltern und dem Passagier.

Wie bremst man mit einem Dualski?

Der Dualski hat keine Bremse. Ideal sind deshalb Skigebiete mit sehr breiten Pisten, auf denen man grosse Kurven ausfahren kann. Er ist zudem relativ schwer, dazu kommt das Eigengewicht der Betroffenen – der Bremsweg ist also ziemlich lang. Es braucht deshalb einen 360°-Blick, damit man immer im Blick hat, wie sich die anderen Skifahrenden auf der Piste verhalten. Schnell ausweichen oder das Gewicht mit den Skiern stemmen geht nicht, deshalb braucht man Platz, um den Hang hinaufzufahren, um zu bremsen. Es ist nicht sehr schwierig zu lernen, aber man sollte sicher auf den Skiern stehen.

© Stiftung Cerebral

Wie erleben Sie die Reaktionen von Betroffenen, die den Dualski ausprobieren können?

Das sind immer sehr grosse Emotionen, die wir erleben – und da schliesse ich alle Freizeitangebote mit ein. Wir alle haben gerne Bewegung. Und dass Menschen mit Beeinträchtigung dann gemeinsam über das Eisfeld gleiten oder eben gemeinsam Skifahren können, da kommen nicht nur bei den Betroffenen riesige Emotionen hoch, sondern vor allem auch bei den Eltern oder Angehörigen. Die Eltern sind vielleicht selbst immer Skigefahren und wenn sie dann ein Kind mit Beeinträchtigung haben, stellt man natürlich in Frage, ob es überhaupt möglich ist, das gemeinsam zu erleben. Ohne die entsprechende Infrastruktur kann eigentlich immer nur ein Elternteil Skifahren, während das andere die Betreuung übernimmt. Mit der richtigen Ausrüstung hingegen wird der Wintersport plötzlich zu einer Aktivität, bei der gemeinsame Erlebnisse entstehen. Und genau das wollen wir ermöglichen, dass Betroffene und Angehörige gemeinsam als Familie das Schlittschuhlaufen oder das Skifahren erleben können. Diese Inklusion bietet sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen riesige Freude.

Was erleben Sie als besonders wichtig für Betroffene?

Ich habe es schon erlebt, dass ich mit Menschen im geländegängigen Elektrorollstuhl wandern ging und diese ein bisschen Zeit für sich brauchten, um einfach die Natur und die Ruhe der Berge zu erleben und auch mal den natürlichen Geräuschen oder der Stille in den Bergen zu lauschen. Mit einem normalen Rollstuhl kann man in einen Park fahren oder vielleicht mit einer Seilbahn bis zu einem Bergrestaurant fahren, aber es ist nicht möglich, wirklich in die Berge zu gehen oder die abgeschiedene Natur zu erleben. Wenn Betroffene inmitten der Natur sein und diese Ruhe fühlen können, fliessen auch mal Tränen.

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Kann man mit Geländerollstühlen auch Winterwanderungen machen?

Wir bewerben es nicht proaktiv, aber es gibt die Möglichkeit, Winterpneus zu montieren oder daran Spikes zu befestigen. Klassische Winterwege gibt es aber in dem Sinne nicht. Es ist trotz allem ein eher breites Fahrzeug, mit dem man zwar auf winterlichen Strassen fahren kann, aber wie mit dem Auto kommt man auf dem Eis beispielsweise nicht mehr vorwärts. Auf unserem Wegnetz ist immer genau definiert, wo die Durchfahrt möglich ist. Im Winter ist es nur schwer oder gar nicht zu garantieren, dass die Sicherheit gewährleistet ist. Aber gerade in Arosa beispielsweise ermöglicht der geländegängige Elektrorollstuhl, dass Bewohner der Altersresidenz auch im Winter durch das Dorf fahren können, trotz der steilen Hanglage des Dorfes. Das wäre mit normalen Rollstühlen kaum möglich.

Wie ist das Feedback zum Angebot?

Wenn neue Touren dazukommen, gibt es immer Leute, die diese gleich «abwandern» und uns dann auch eine Rückmeldung geben. Das ist für uns natürlich wunderschön. Da es finanziell meist nicht möglich ist, einen solchen Rollstuhl zu besitzen, stellen wir sie an diversen Stationen in der Schweiz zur Verfügung. Dass das Angebot rege genutzt wird, freut uns natürlich sehr.

Welche Auswirkungen hatte denn die Corona-Pandemie auf Ihr Freizeit-Angebot?

In den letzten drei bis vier Jahren ist die Nachfrage stark gestiegen. Vor allem auch die Nachfrage nach dem Dualski hat Jahr für Jahr zugenommen. Es nehmen immer mehr Eltern oder Skilehrer an den Ausbildungskursen für den Dualski teil. Dieser Anstieg merken wir extrem.

Was sind die Anforderungen an Skigebiete?

Es braucht breite, nicht zu steile Pisten und auch die Skilifte dürfen nicht zu steil sein. Bei Sesselliften sind gewisse Installationen nötig. Auch für die modernen Einrichtungen wie Sessellifte mit Plastikhauben gibt es Lösungen, damit sie mit dem Dualski benutzbar sind. Es ist ein laufender Prozess, damit die Technik immer auf dem neusten Stand ist. Daneben ist es vor allem wichtig, dass die Mitarbeitenden sensibilisiert sind auf den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung. Gerade auch deshalb fokussieren wir uns auf kleinere, eher familiäre Destinationen wie Bellwald und Sedrun.

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Welche weiteren Anpassungen braucht es inner- und ausserhalb des Skigebiets?

Man muss sehr viele Details bedenken. Zuerst braucht es Behindertenparkplätze mit genügend Platz zum Aussteigen. Dann braucht es genügend Platz, um vom Rollstuhl in den Dualski umsteigen zu können. Während dem Fahren muss der Rollstuhl irgendwo untergebracht werden. Geht man dann in einer Pause in ein Bergrestaurant – das ebenfalls barrierefrei sein muss – braucht es dort wiederum einen Rollstuhl, den man benutzen kann. Das sind wahnsinnig viele kleine Dinge, an die man denken muss und auch hier unterstützen wir natürlich die Wintersportdestinationen.

Sie unterstützen mit Ihrer Stiftung insbesondere die Destinationen Bellwald und Sedrun.

Wir konzentrieren uns bewusst auf diese zwei Destinationen und zum Teil auch auf Scuol, das in diesem Bereich auch sehr viel leistet. Denn es reicht nicht, einfach einen Dualski und die richtige Infrastruktur zu besitzen. Wichtig ist eben auch, dass die Leute sensibilisiert sind, sowohl bei den Bergbahnen wie auch bei der Suprastruktur vor Ort. Als Stiftung konzentrieren wir uns darauf, dass es ein entsprechendes Hotel- und Ferienwohnung- sowie Freizeitangebot gibt. Zum Teil arbeiten wir dafür auch mit der lokalen Spitex zusammen, damit die Familien die gleiche Unterstützung wie Zuhause erhalten. Im Vordergrund steht dabei auch die Entlastung der Eltern. Bellwald hat mit dem Fokus auf Menschen mit Beeinträchtigung eine Nische für sich entdeckt.

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Sie hatten auch einen Sommerevent.

Genau, in Bellwald hatten wir einen Sommerevent. Besonders schön war, dass ein grosser Teil der Dorfbevölkerung teilgenommen hat und sich auch bei uns bedankt hat für die Zusammenarbeit. Es ist sehr wichtig, dass eine Destination offen für das Thema ist und auch das Potenzial darin sieht. Das ist in den kleinen, familiären Destinationen vielleicht einfacher. Aber es ist auf jeden Fall ein Prozess und braucht Zeit. In den beiden Destinationen Bellwald und Sedrun funktioniert es wirklich sehr gut und sehr umfassend. Aber viele Destinationen möchten dies ermöglichen und das ist natürlich fantastisch. Auch gesellschaftlich bewegen wir uns immer mehr Richtung Inklusion. Wir als Stiftung haben das Ziel, dafür auch das richtige Know-how und die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

Gibt es Ferienangebote, die nicht auf Familien ausgerichtet sind, sondern z.B. auf alleinstehende Betroffene?

Genau, auch das ist möglich. Es sind auch nicht alle Menschen mit einer cerebralen Beeinträchtigung im Rollstuhl, da braucht es immer individuelle Möglichkeiten. Während cerebrale Gebrechen immer von Geburt an vorhanden sind, gibt es auch Menschen, die beispielsweise nach einem Unfall im Rollstuhl sind. Auch Menschen mit MS oder Paraplegiker können unser Angebot nutzen, da dieses sehr breit gefächert ist. Dafür müssen natürlich auch die Freizeitangebote drum herum stimmen. Am Vierwaldstättersee beispielsweise können Betroffene nicht nur Campieren, sondern auch Kajakfahren, Velofahren oder Ausflüge in die Region machen.

Gibt es denn auch Herausforderungen oder Gefahren bei den Outdoor-Aktivitäten?

Nicht gefährlicher mehr, als wenn wir beispielsweise Skifahren gehen. Aber man muss sicher vorsichtig sein. Die Strecken für die geländegängigen Elektrorollstühlen werden natürlich zuerst abgefahren, um sicherzugehen, dass man sicher durchfahren kann. Zudem gibt es hier verschiedene Schwierigkeitsstufen. Aber schlussendlich sollen Menschen mit Beeinträchtigung mit den entsprechenden Hilfsmitteln die gleichen Möglichkeiten haben wie wir auch. Wir helfen dort, wo zu diesem Zweck Anpassungen an der Infrastruktur nötig sind.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Gibt es Projekte, die noch in Planung sind?

Wir wollen das Eisgleiter-Angebot weiter ausbauen. Wir sind schon vom Bodensee bis nach Genf und von Basel bis ins Tessin präsent, aber die Nachfrage ist definitiv da. Beim Dualski konzentrieren wir uns weiter auf die zwei oder drei vorhandenen Destinationen. Eventuell wären wir interessiert, eine weitere Destination in der Westschweiz dazu zu nehmen. Wir sind aber immer offen dafür, wenn Destinationen oder Schneesportschulen Interesse an Unterstützung haben. Es gibt immer auch im Kleinen Möglichkeiten, wie zum Beispiel letztes Jahr in Adelboden oder in der Surselva.

Gibt es ein Projekt, das Ihnen persönlich am meisten am Herzen liegt?

Einerseits sicherlich das Dualskifahren, über das wir heute ja viel gesprochen haben. Andererseits ist Wandern in der Schweiz wirklich auch ein Grundbedürfnis, deshalb liegt mir das Projekt der geländegängigen Elektrorollstühle sehr am Herzen. Mir ist es wichtig, dass Betroffene im Sommer die Natur und die Bergwelt erleben können. Aber auch beispielsweise das Freilichtmuseum Ballenberg wird so plötzlich zugänglich. Es handelt sich dabei zudem um ein hundertprozentiges Schweizer Produkt, das im Berner Oberland in Behindertenwerkstätten zusammengesetzt wird. Es ist also auch deshalb sehr unterstützungswürdig, weil es nicht nur ermöglicht, in die Natur zu gehen, sondern auch Arbeitsplätze in der Region schafft. Wir leben zu 100 % von Spenden und Erbschaften aus der Schweiz. Es ist deshalb besonders schön, wenn wir das hier zurückgeben und einsetzen können.

www.cerebral.ch