Wie würde die Weihnachtsgeschichte lauten, wenn es vor 2000 Jahren keine Esel gegeben hätte? Es war ein Esel, der Maria gerade noch rechtzeitig nach Bethlehem trug. Zu Fuss hätte es das heilige Paar kaum geschafft.

Das Image des Esels ist nicht besonders gut. Im Krippenspiel ist der Esel keine Traumrolle, um die sich Kinder reissen. Den Esel als Begleiter des Schweizer Samichlaus’ schätzt man eher, denn der Schmutzli kann ohne seine Hilfe weniger Geschenke tragen. Man spricht von der Dummheit der Esel. Nutzt den Tiernamen gar als Schimpfwort. Früher wurden Kinder in der Schule blossgestellt, indem sie als Strafe Eselsohren aus Pappe tragen mussten. Esel seien faul und störrisch. «Zeit, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen», meint Edith Müller, die sich seit über 35 Jahren für Esel einsetzt. «Esel sind klug und gutmütig. Ihre vermeintliche Sturheit ist ein Abwägen in gefahrvollen Situationen. Esel sind Wüstentiere und leben in Wüstenrandregionen und keine reinen Fluchttiere wie Pferde. Sie würden schnell zur Jagdbeute, wenn sie kopflos davonrennen würden. So schnell sind die nicht.»

(c) Regula Zellweger

LANGE GESCHICHTE
Esel dienen dem Menschen seit Jahrtausenden als Nutztiere. Ursprünglich waren Esel wie auch anderen Haustiere Wildtiere. Sie lebten in den Wüstenrandregionen Afrikas, also in trockenen Gebieten. In Afrika gab es drei Unterarten, die Atlas-Wildesel, die Nubischen und die Somali- Wildesel. Lediglich die Somali-Esel existieren noch, meist in Zoos, wo man versucht, sie vor dem völligen Aussterben zu retten. Es gibt auch Halbesel oder Pferdeesel, asiatische Esel, die vom Aussterben bedroht sind. Maultiere sind aber keine Halbesel, sie sind das Ergebnis der Kreuzung von Pferd und Esel. Bildquellen beweisen, dass Esel bereits im alten Ägypten im Dienst der Menschen standen. Die Völker der
Antike schätzten die Zähigkeit und Genügsamkeit der Esel, die viel länger als Pferde ohne Wasser und Nahrung auskommen können. Sie zogen Wagen und trieben Brunnen und Mühlen an. Ihr Ursprung in der Wüste erklärt ihr Verhalten und ihren Charakter. Sie kommen gut mit Hitze und Trockenheit zurecht und sind anspruchslos, was das Futter betrifft. Auf die Alpennordseite kamen die Esel erst mit den Römern. Überall, wo es steile Wege gibt, waren Esel früher das wichtigste Transportmittel. Esel sind schmaler als Pferde und können auch auf den engsten Wegen im Gebirge sicher Strecken gehen. «Wo die Pferde versagen, schaffen es die Esel», formulierte Papst Johannes Paul II.

(c) Regula Zellweger

NICHT ALLE ESEL SIND GRAU
Als Fellfarbe dominieren Grau und Braun in allen Schattierungen. Von ihren wilden Vorfahren haben viele Esel eine auffällige Streifung im Fell. Der Aalstrich auf dem Rücken und das Schulterkreuz in der Fellzeichnung gelten als klassisches Merkmal. Den weissen Rand ums Maul nennt man «Mehlmaul». Es gibt auch Fellfarben von scheckig bis weiss. Selten sind weisse Esel, weisse Österreich-ungarische Barockesel, die vom Aussterben bedroht sind.Man findet sie beispielsweise im Burgenland. Diese mittelgrosse Eselrasse hat ein weissgelbes, «cremello» Fell und hellblaue Augen. Haut und Hufe sind wenig pigmentiert. Der Verein zur Erhaltung der Weissen Barockesel setzt sich für diese Rasse ein und betreut Eselhalter und Züchter. Wenn keine Überfütterung stattfindet, sind Esel schlank. Die staksigen Beine leiden
schnell bei Überbelastung. Mit seinen hohen Hufen ist er auf trockenen und harten Böden besonders trittsicher. Die langen und beweglichen Ohren zeugen von einem sehr empfindlichen Gehör. Esel loten damit Geräuschquellen aus, bevor sie reagieren. Frisches Gras steht nicht auf dem Menüplan der Wüstenbewohner. Esel knabbern gern an verholzten Stauden und Büschen, an Ästen von Fruchtbäumen und Brombeerranken. Sie sind eigentlich «Laubfresser».

(c) Regula Zellweger

ARTGERECHTE HALTUNG
Edith Müllers Herz schlägt seit rund 35 Jahren für Esel. Sie und ihr Mann Wolfgang nehmen Esel bei sich auf und vermitteln heimatlose und in Not geratene Esel an Menschen, die über die nötigen Kompetenzen in der Eselhaltung verfügen. Ihre Esel werden auf trockenen Böden gehalten und dürfen täglich nur eine Stunde auf die Weide. Das feuchte Gras schadet den Hufen, weicht sie auf. Das wissen viele Leute nicht. Gegen falsches Wissen rund um die Haltung von Eseln arbeitet Edith Müller mit der von ihr gegründeten Stiftung «Eselmüller Stiftung». Sie erzählt: «Esel lernen schnell, und wenn man mit kurzen, einfachen Worten zu ihnen spricht, verstehen sie schnell, was man meint. Esel kommunizieren differenziert. Als Eselhalter gilt es, diese Ganzkörpersprache zu lernen. Aggressiv und bissig werden Esel nur, wenn man sie schlecht behandelt.» Auf dem Hof von Edith und Wolfgang Müller leben zurzeit vier Esel – jeder mit einer traurigen Vorgeschichte. «Esel sind nicht gern allein. Am liebsten leben sie in einer Herde. Sie vertragen sich auch gut mit Schafen, Rindern oder Ziegen. Esel sind aber absolut nicht geeignet für das Hüten von Schafen. Sie spielen mit den Lämmern, was denen nicht bekommt. Esel sollen lediglich die Lasten des Hirten transportieren.» Edith Müller ärgert sich, wenn man Esel als dumm bezeichnet: «Deshalb werden sie von Menschen oft schlecht behandelt und geschlagen. Doch in Wirklichkeit haben sie nur ihren eigenen Kopf und ordnen sich nicht einfach unter. Esel sind sehr klug, tapfer und vorsichtig. In einer gefährlichen Situation bleiben sie erst mal stehen und überlegen, wie sie am besten reagieren, anstatt kopflos davon zu rennen wie ein Pferd.»

(c) Regula Zellweger

ESELBOTSCHAFTER
Mit Aufklärung will Edith Müller Tierleid mildern. Dazu bildet sie Interessierte zu Eselbotschaftern aus. Diese engagieren sich ausschliesslich ehrenamtlich für die Esel und deren Wohlergehen. Sie klären die Öffentlichkeit über Eigenschaften, Charakter, Bedürfnisse, Haltung und Fütterung der Esel auf und unterstützen die Suche nach geeigneten Plätzchen. In Notfällen verhelfen sie einem Tier zu einem temporären Pflegeplatz. Sie kommen in ihrer Region zum Einsatz, wenn ein Tierschutzvorfall vorliegt. Dazu ist es unabdingbar, dass sie Experten in der Haltung von Eseln sind und auf die Unterstützung von Spezialisten wie Tierärzte zählen können.
Edith Müller setzt wirksam bei den Jüngsten an. «Wir wollen nicht Kinder erziehen, aber sie zu ethischer und artgerechten Haltung, zu gesunder Fütterung und artgerechtem Umgang führen.» Nicht nur Erwachsene, auch Kinder können diverse Kurse bei Eselmüller besuchen und Botschafter werden. Wenn man bedenkt, dass man einen Esel für rund 300 Franken erstehen kann, eine Tierarztkonsultation aber schnell mal 500 Franken kosten kann, wundert man sich nicht, dass die Verantwortung als Eselhalter manchmal zu wenig ernstgenommen wird. Edith Müller kämpft dagegen und lebt das Sprichwort: «Liebe bringt selbst den Esel zum Tanzen.»
www.eselmueller.ch